Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Der Hund gehört Heidi.
Sie kommen jedes Jahr an Weihnachten, der Hund und Heidi.
Aber warum fragen Sie nicht die Eltern, die wohnen doch ums Eck?
Sie warfen sich einen Blick zu.
Weil in Stuttgart der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, der Leiter der Kripo Freiburg und der Präsident des Landeskriminalamtes Zuständigkeiten diskutierten.
Auf der Höhe von Emmendingen rief Bermann an. »Kann Illi mich hören?«
Sie legte das Handy in die Halterung der Freisprechanlage.
»Ja.«
Die Schuhabdruckspuren, die der Erkennungsdienst auf Riedingers Hof, Treppe und im Schlafzimmer gefunden hatte, passten zu den Eindruckspuren beim zweiten Depot. Der Mann mit den Sportschuhen Größe sechsundvierzig, der im Wald oberhalb von Lisbeth Walters Haus gewesen war, war auch auf Riedingers Hof gewesen. Er war die Treppe hinaufgestiegen, er war ins Schlafzimmer gegangen.
Kein Beweis, aber ein Indiz.
Sie dachte an die vage Beschreibung des Mannes, der Marion Söllien geholt hatte. Ein großer, breiter, dunkler Mann. Der Mann, der auf Riedingers Hof gewesen war?
»Ruft mich an«, sagte Bermann und legte auf.
Vor Lahr hielten sie an einer Raststätte. Louise tankte, Thomas Ilic ging in das Restaurant. Jenseits der Autobahn lag der Rhein, ein gutes Stück dahinter Sélestat. Von dort war sie im Winter mit Reiner Lederle in die Berge gefahren, um zuzusehen, wie die französischen Kollegen das Haus des Asile-Arztes Steiner stürmten. Sie dachte, dass Sélestat, St. Dié, die Vogesen untrennbar mit den Ereignissen des Winters verbunden waren.
Andere Erinnerungen wurden überschrieben, verblassten. Dass die Familie ihres Vaters aus Gérardmer stammte, dass die Vogesen für sie früher untrennbar mit ihrem Vater verbunden waren. Dass Germain die Vogesen geliebt hatte, bis zu seinem Tod 1983 jedes Jahr ein paar Tage, ein paar Wochen bei den Onkels und Tanten, den Cousins und Cousinen von Gérardmer verbracht hatte.
Ist Germain wieder bei Tante Natalie?
Ja, ma chère, er ist bei Tante Natalie.
Sie hängte den Zapfhahn an die Säule, schloss den Tank.
Während sie zum Verkaufsraum ging, sah sie sich unauffällig um. Ein halbes Dutzend Autos an den Zapfsäulen, Dutzende Autos auf dem Parkplatz. Keines, das auffällig gewesen wäre.
Sie betrat den eiskalt klimatisierten Verkaufsraum. Thomas Ilic winkte aus dem Restaurant, sie deutete auf die Kasse. Ihr Vater, Germain, die Onkels und Tanten, Cousins und Cousinen von Gérardmer – Menschen aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Als hätten sie ihren Ort in der Erinnerung verloren.
An der Kasse schwebten ihre Hände sekundenlang über den Mon Chéris. Wie lächerlich, dachte sie. Wie furchtbar, furchtbar lächerlich.
Auf dem Weg zum Auto kam ihr der Gedanke, dass die Orte verloren gehen mochten, die Menschen aber, sofern sie noch lebten, blieben.
»Ich brauch in Kehl zehn Minuten für was Privates.«
Thomas Ilic nickte, als hätte er damit gerechnet. Die Mütter Deutsche, die Väter nicht, das verband offensichtlich. Sie lächelte, aber die plötzliche Nähe war ihr unangenehm. Sich zu verstehen, ohne zu reden, war intimer als Sex.
Sie saßen im Restaurant, tranken Kaffee, aßen Croissants.
»Übrigens«, sagte Thomas Ilic und zog ein weiteres Blatt aus dem Schnellhefter.
Wieder eine Fotografie, dazu eine Handvoll Daten. »Abdul Rashid«, las Louise und rieb sich fröstelnd die bloßen Arme. Ein Mann mit einem hellen, schmalen Gesicht, hellen, schmalen Augen, schmalen Lippen, die Haare kurz geschnitten und grau.
Ein gut aussehender, distinguierter, distanzierter Mittfünfziger.
Der Blick ging nachdenklich am Betrachter vorbei.
Fotografien, unsichtbare Gesichter, die Gegenspieler blieben ungreifbar. Ein Waffenlobbyist, der vor eineinhalb Jahren gestorben war. Ein verurteilter Waffenhändler, der vor Jahren vom Balkan verschwunden und dann in Islamabad aufgetaucht war. Fußabdruckspuren auf einer Treppe, DNA-Spuren an Bierflaschen im Wald.
Ein vermummter Mann. Ein Krieg, der seit sieben, acht Jahren vorbei war.
Sie hob den Kopf. Thomas Ilic’ Blick lag auf ihr.
»Du willst deinen Vater besuchen?«
»Na ja, wir sehen uns nicht oft, und beim letzten Mal, im Winter, haben wir gestritten. Wird mal wieder Zeit, mit ihm zu reden.«
Thomas Ilic nickte verständnisvoll.
»Wenn ich schon mal in Kehl bin.«
Er musterte sie, als wollte er etwas sagen, aber dann schwieg er. Das konnte er gut, fand sie, beredt schweigen.
Später rief Thomas Ilic die Kollegen
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