Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
gibt.«
»Obwohl es Sie nicht gibt.«
Marcel lächelte.
»Eins versteh ich nicht«, sagte Louise.
»Gut, dass Sie es erwähnen.«
Wie war es möglich, dass sie nicht wussten, wer das Semtex zwischen den Waffen deponiert hatte, obwohl sie PADE seit Monaten überwachten? Marcel zuckte die Achseln. Ganz einfach. Sie hatten den Schuppen nicht ununterbrochen beobachtet. Sie waren zu wenige.
Er trat zum Tisch, legte Akku und Magazin neben Telefon und Pistole. Dann sagte er: »Sie müssen sich jetzt entscheiden.«
»Habe ich denn eine Wahl?«
»Natürlich. Aber sie wird Ihnen leicht fallen. Schließlich sind wir auf derselben Seite.«
»Manchmal reicht das nicht.«
»Deswegen mache ich Ihnen ein Angebot.«
Das Angebot war verlockend. Sie würden Namen und Aufenthaltsort von Riedingers Mörder, den beiden Männern aus dem Wald sowie Marion Söllien bekommen. Und sie würden –
morgen früh – Fotografien, Dokumente und Mitschnitte von Gesprächen beziehungsweise Telefonaten der PADE-Leute mit einem Waffenschmuggler aus dem ehemaligen Jugoslawien, deutschen Mittelsmännern, anderen Personen, die involviert waren, bekommen. All dies als Gegenleistung dafür, dass sie die Fahnder umgehend von Rashid, den PADE-Leuten und den Pakistanern abzogen – nicht mehr, nicht weniger.
»Und wie um Himmels willen soll ich das meinem Chef verkaufen?«, fragte Louise.
Marcel griff in die Innentasche, nahm ein digitales Aufnahmegerät heraus und legte es auf den Tisch. »Damit«, sagte er.
Dann kamen die Einzelheiten – wann die Kripo Details erfahren würde, wann sie zuschlagen sollte, wann sie morgen das Material erhalten würde. Sie machte sich nicht die Mühe, sich alles zu merken – das Aufnahmegerät blieb eingeschaltet.
Stattdessen sah sie Marcel an, prägte sich unauffällig seine Gesichtszüge ein, die Form der Nase, Augen, Ohren, die Beschaffenheit der Haare, den Körperbau. Seine Art zu sprechen, seine Tonlage, seine Stimme. Die kleinen wichtigen Unterschiede – zwei Leberflecke auf der rechten Wange, eher geringer Bartwuchs, ausgeprägte Sorgenfalten auf der Stirn.
Vielleicht würde es irgendwann einmal wichtig sein, dass sie ihn möglichst genau beschreiben konnte. Kein Name, kein Ausweis, keine offizielle Bestätigung, dachte sie, nur die Erinnerung an eine bizarre halbe Stunde in ihrer Wohnung, in der an einem unerträglich heißen Tag im Juli 2003 die Verteidigung Deutschlands fortgesetzt wurde.
16
»UND DANN?«, fragte Bermann.
Sie zuckte die Achseln. »Ist er gegangen.«
»Du hast ihn einfach gehen lassen?«
»Ja, ich hab ihn einfach gehen lassen.«
»Du hättest ihn aufhalten müssen. Du hättest ihn herbringen
…«
»Rolf«, unterbrach Almenbroich heiser.
Bermann schwieg. Sie starrte in seine wilden, geröteten Augen, dachte an den Dobermann. Luis, der Dobermann.
Hundstage. Ein Hund ging auf sie los, ein anderer diente als Namensvetter.
Bermann wandte den Blick ab.
Marcel aufhalten? Sie hatte daran gedacht, es zu versuchen.
Als er zur Tür gegangen war, hatte er ihr für ein paar Sekunden den Rücken zugewandt. Zeit genug, um die Pistole zu laden.
Aber er hätte gewusst, dass sie nicht schießen würde. Er wäre weitergegangen.
»Sie hat alles richtig gemacht«, sagte Almenbroich.
Sie hatten sich in Bermanns Büro versammelt – Almenbroich, Anselm Löbinger, Thomas Ilic, Bermann, sie. Almenbroich saß auf dem Schreibtischstuhl, die anderen lehnten an den Wänden, als hätten sie nicht mehr die Kraft, ohne Hilfe zu stehen. Die Jalousien waren heruntergelassen, es war drückend heiß. Louise hielt eine Flasche Evian in der Hand, die hin und wieder die Runde machte.
»Alles richtig gemacht«, wiederholte Almenbroich mehr für sich.
Bermann fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich werd hier noch wahnsinnig.«
»Niemand hindert dich daran, dich versetzen zu lassen«, sagte Almenbroich.
Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen.
Dann sagte Bermann: »Wie bitte?«
»Er meint es nicht so, Rolf«, beschwichtigte Thomas Ilic.
»Wir sind alle …«
Bermann trat einen Schritt vor. »Was soll das denn heißen, Christian?«
»Wir sind alle ein bisschen gereizt und …«, sagte Thomas Ilic.
»Reiß dich zusammen, Rolf«, sagte Löbinger.
»Du hältst dich da raus!«
Almenbroich hob eine Hand, um die Diskussion im Keim zu ersticken. Dann entschuldigte er sich bei Bermann. Die Hitze, die fast schlaflosen Nächte, die anstrengende Besprechung am Vormittag in Stuttgart. Er
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