Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Wohnzimmer für fünf Menschen, die Küche für fünf Menschen. An die Fotos, auf denen nur die Kinder und die Frau zu sehen waren. An einen Mann, der mit geschlossenen Augen im Scheinwerferlicht wartete.
»Er hätte nicht sterben müssen«, sagte Marcel. »Ihr habt nicht aufgepasst, wir haben nicht aufgepasst.«
Sie schürzte die Lippen. »Wer hat ihn getötet?«
Ein weiterer Erfüllungsgehilfe von PADE. Ein junger bosnischer Muslim, kaum zwanzig Jahre alt, Kriegswaise. Sein Spitzname war »Bo«. Ein schwerer Mann, ergänzte Louise, um die einhundert Kilo. Schuhgröße sechsundvierzig, Sportschuhe, abgelaufenes Profil. Marcel lächelte. Unter die Schuhe hatten sie nicht gesehen.
Louise stellte die Kaffeetasse auf den Tisch, nahm die Wasserflasche, trank. »Die beiden Typen im Wald.«
»Bosnische Muslime. Haben das zweite Depot bewacht.
Harmloses Kanonenfutter, zwei Brüder, denen im Krieg Familie und Dorf weggebombt wurden. Die wissen nicht mal, in welchem Land sie gerade sind.«
»Ihr habt sie observiert?«
»Sie und die anderen.«
»Seit wann?«
»Seit ein paar Monaten.«
»Gibt es andere Depots?«
»Nein. Aber es gab vor zwei Jahren eine erste Waffenlieferung an die Jinnah, und es gibt eine weitere Bestellung. Sie rüsten auf.«
»Wäre das über Afghanistan nicht viel einfacher?«
»Nein. Die Amerikaner sind auf beiden Seiten der Grenze.
Über den Balkan und PADE ist es weiter, aber ungefährlicher.«
»Und wie sind die Waffen hierher gekommen?«
»In den Neunzigern gab es eine Route vom Balkan über Ungarn, die Slowakei, Polen, Rostock, Hamburg und Karlsruhe und dann weiter über Dunkerque nach Afrika. Wir vermuten, dass PADE diese Route reaktiviert hat. Ansonsten ginge es auch über Triest und dann mit Lkw’s über die Alpen. Falls die Waffen überhaupt vom Balkan und nicht von irgendwo anders hergebracht worden sind.«
»Und was wollen die Jinnah? Geht es um Musharraf?«
»Um Musharraf, um die Macht. Sie wollen Pakistan ins Chaos stürzen, Musharraf loswerden, eine neue, fundamentalislamische Führung installieren, die die Kooperation mit dem Westen beendet. Die Unterstützung für die ISAF in Afghanistan.«
»Haben sie ein Attentat auf Musharraf geplant?«
»Das wissen wir nicht genau. Es gibt Hinweise, dass sie es in Paris versuchen wollten. Jetzt gibt es Hinweise, dass sie es in Islamabad versuchen wollen.«
»Und das möchten Sie verhindern?«
»Das müssen wir verhindern. Wenn wir den Kampf für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit nicht verlieren wollen, brauchen wir Musharraf. Wenn wir ein fundamentalislamisches Pakistan verhindern wollen. Sein Vorgänger wollte die Scharia als alleiniges Rechtsprinzip, Musharraf hat das verhindert, indem er die Regierung übernommen hat. Der Westen braucht ihn.«
Louise lehnte sich zurück, versuchte, sich die vielen weiteren Fragen zu merken, die ihr durch den Kopf schossen, während sie andere Fragen stellte. Warum hatte Marcel ihr im Wald geholfen? Weil »der Polizist aus Kirchzarten« in die falsche Richtung gelaufen war. Er hatte die Frau dabei gehabt, hatte nicht gewusst, was er tun sollte. Marcel hatte nicht gewusst, wie schwer sie verletzt war. Und da sie Kollegen waren … Er zuckte die Achseln. Außerdem sah er es als Teil seiner Aufgabe, zu helfen, zu schützen.
Sie lächelte. Sie war ein bisschen gerührt.
Er erkundigte sich, ob die Wunde gut verheilte. Sie nickte.
Dann dachte sie über ein Wort nach, das Marcel eben gesagt hatte – »Kirchzarten«. Er hatte es auf der ersten Silbe betont, hatte Kirchzarten gesagt wie die Menschen aus der Region, nicht Kirch zarten wie der Rest der Welt.
Was auch immer das bedeuten mochte.
Sie fragte weiter. Ja, seine Leute hatten den weißen Audi
»besorgt«, waren ihr in die Wiehre gefolgt, waren ihr auch nach Offenburg gefolgt. Er war ihr gefolgt. In einem blauen Auto?
Nein, nicht in einem blauen Auto. Sie dachte an die Raststätte, das Gesicht in der Fensterscheibe, die Augen, die auf sie gerichtet gewesen waren. War er dort gewesen? Er nickte, wirkte für einen Moment überrascht. »Sie sind nicht unsichtbar«, sagte Louise.
»Mit der Zeit denkt man, man wäre es.«
Sie waren allen gefolgt – Bermann, »dem Kroaten«, Heinz Schneider, ihr. Sie hatten die Kontrolle behalten wollen, den Überblick. Um notfalls eingreifen zu können.
»Wie jetzt.«
»Wie jetzt«, bestätigte Marcel.
»Und warum sind Sie ausgerechnet zu mir gekommen?«
»Weil Sie wissen, dass es mich
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