Boy 7
Zimmer gebracht? Und warum mitten in der Nacht?
Das ging viel weiter als eine strenge Herangehensweise und ein sich Einstellen auf das Gruppengefühl. Ich dachte an experimentelle Medikamente. Oder Elektroschocktherapie! Hatten sie mir so viele Stromstöße durch den Kopf gejagt, dass mein Gedächtnis dadurch angegriffen worden war? Die bloße Vorstellung verursachte mir schon Beklemmungen. Ich öffnete die Tür zum Balkon und ...
Stimmen! Ich spähte am Vorhang entlang. Lara und Jones standen im Garten und sprachen miteinander.
Jones! Er musste mich erkannt haben. Aber warum hatte er mich dann nicht in das graue Gebäude zurückgebracht? Und welche Rolle spielte Lara?
Ich setzte mich wieder auf mein Bett und las rasch weiter.
Heute Nacht konnte ich fast nicht einschlafen, weil ich immer an Lara denken musste. War es wirklich Zufall, dass ich sie im Pizza Hut getroffen habe? Und warum wollte sie sich immer dort verabreden und sonst nirgends? Ich habe weder ihre Freundinnen noch ihre Familie jemals gesehen. Immer, wenn ich davon anfing, entwand sie sich mit einem Scherz. Dass sie mich ganz für sich haben wollte oder dass sie nun einmal süchtig sei nach Pizza.
Lara und Jones. Was führten die beiden im Schilde?
»Was hast du denn angestellt?«, fragte mich der Weißkittel heute Morgen im Duschraum.
Ich betrachtete mich im Spiegel. Es sah aus, als hätte ich einen blauen Ziegenbart.
»Heute Nacht ausgerutscht, als ich zum Klo wollte«, log ich.
»Er ist voll aufs Kinn geknallt«, sagte Louis ungerührt. »Es war wie ein Erdbeben, ich war sofort hellwach.«
7
Es erstaunte mich nicht einmal mehr, dass Five ganz normal beim Frühstück saß. Leider konnten wir ihn nicht fragen, was auf der Krankenstation passiert war, ohne uns zu verraten. Aber als wir frische Luft schnappen durften, ergriffen wir unsere Chance.
»He, Five!«, rief Louis und klopfte einladend auf die Rückenlehne der Bank, auf der wir saßen.
Coach Two unterbrach seinen Dauerlauf. »Was hatte ich denn gesagt? Wir wollten ihn doch totschweigen, bis ...«
»Als ob du das zu bestimmen hättest.« Five spuckte neben ihm auf den Boden. »Miss Sporty.«
»Ich bin keine Make-up-Marke«, sagte Two kühl.
Louis grinste. »Jetzt redest du selbst mit ihm!«
»Entschuldigung.« Two wurde rot bis in die Haarwurzeln. »Es ist nett, dass du mich darauf hinweist. Wenn wir mit der ganzen Gruppe gut zusammenarbeiten und uns gegenseitig helfen ...«
»... und alle machen, was die Leitung sagt«, unterstützte ihn Three.
»Ihr geht mir auf die Nerven.« Five spuckte wieder auf den Boden. »Das solltet ihr lieber lassen. Manche Typen sind so unausstehlich, dass sie es nicht anders wollen.« Seine Hand hob sich langsam. »Das nennt man dann mal sinnvolle Gewalt.«
Oho, gleich gehen sie aufeinander los, dachte ich.
Die Weißbekittelte war offensichtlich genau meiner Meinung. Sie nahm den Alarmknopf zur Hand, um ein paar starke Kollegen herbeizurufen.
Aber das war schon nicht mehr notwendig. Ein Zittern durchfuhr Five. Dann ließ er seinen Arm schlaff neben den Körper fallen und sagte zu Two und Three: »Es tut mir leid, ihr habt natürlich vollkommen recht, ich sollte in Zukunft besser auf euch hören.«
Louis und ich waren geplättet. Offensichtlich konnte Five es kaum selbst glauben, denn er fasste sich an den Mund.
»Gut so.« Three klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Na siehst du, war doch gar nicht so schwierig.«
Five war vollkommen durcheinander. Wir konnten sagen, was wir wollten, aber er setzte sich nicht mehr zu uns auf die Bank. Er sonderte sich ab und lehnte sich niedergeschlagen gegen den Maschenzaun. Irgendwann sah ich sogar, wie er sich in den Arm kniff und seine Handgelenke ausschüttelte, als wollte er überprüfen, ob es sich wirklich um seinen eigenen Arm handelte und nicht den eines anderen.
Ich muss wissen, was heute Nacht passiert ist!
Wir sind wieder unten gewesen. Natürlich gingen wir erst in das geheimnisvolle Kämmerchen auf der Krankenstation. Zumindest wollten wir das, aber dort gab es ein normales Schloss, das sich nicht mit einem Pass öffnen ließ.
»Hätte ich bloß einen Dietrich«, murmelte Louis.
Wir stellten das ganze Ärztezimmer auf den Kopf, aber nirgends war ein Schlüssel zu entdecken. Schließlich setzte ich mich wieder an den Computer und tippte erneut das Passwort ein.
Louis zeigte auf ein Dokument, das Digital Boy hieß. »Probier das mal.«
Und das erschien auf dem Bildschirm:
Der Text stand
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