Boy 7
ungeduldig, um noch länger zu schleimen. »Mach auf!«
Den Stick im Zimmer verstecken? Das traute ich mich nicht. Wenn er ihn fand ...
»Ich will nur mit dir reden.«
Nein, es gab nur eine einzige Lösung – ich musste Jones ausschalten, damit er den Stick nicht mehr suchen konnte. Wenn das bloß so leicht wäre, wie es klang. Ich stellte mich mit der Schale neben die Tür und wusste auf einmal, wie sich ein nervöser Diskuswerfer bei einem wichtigen Wettkampf fühlen musste. Jede Faser in meinem Körper war gespannt.
»Wenn du mir nicht zuhören willst, werde ich dich dazu zwingen müssen«, sagte Jones.
Zwingen.
ER HATTE NATÜRLICH EINE ALARMSCHNUR DABEI!
Alle Energie verließ mich. Das war es dann wohl. Widerstand war zwecklos. Jones hatte mich in seiner Gewalt. In wenigen Sekunden würde er mir befehlen, den Stick abzugeben. Ich hatte versagt. Keiner konnte die Boys noch retten. Für Louis fand ich es am allerschlimmsten. Obwohl ich keine echten Erinnerungen an ihn hatte, war er mir ans Herz gewachsen. Während ich das Notizbuch las, hatten sich Bilder in meinem Kopf geformt – Fotos von uns beiden, wie wir zusammen auf einem Etagenbett Pläne schmieden. Ich hatte Louis vor mir gesehen, während er mir das Geheimversteck und den gestohlenen Stift zeigte, nicht zu vergessen, wie ihn die Weißkittel auf der Krankenliege mitnahmen ... Und jetzt würde ich ihn zum zweiten Mal im Stich lassen. Ich bekam einen Kloß im Hals.
Da stieg ein hoffnungsvoller Gedanke in mir auf. Offensichtlich konnte ich trotz des Mikrochips noch aus mir selbst heraus fühlen und mir Dinge vorstellen. Ich war also noch nicht vollkommen abhängig von Jones. Ich musste nur schneller sein als er! Ich würde die Tür aus eigenem Antrieb öffnen, bevor mir Jones mit der Alarmschnur den Auftrag dazu erteilte. Mit ein wenig Glück würde ihn meine Aktion so überraschen, dass er für einen Augenblick nicht gut aufpasste, und dann ... klatsch!
Ich spürte, wie meine Kräfte zurückkehrten. Mein Plan war nicht gewaltig oder welterschütternd, aber es war meine eigene Entscheidung!
Mit der freien Hand drehte ich blitzschnell den Schlüssel um und warf dann die Tür auf. Jones’ Blick war nach unten gerichtet, auf die widerspenstige Alarmschnur, die er gerade ungeschickt aus seiner Jackentasche zu ziehen versuchte. Sobald sein Kopf hochschnellte und er mich mit leichtem Erstaunen ansah, holte ich aus. Die Schale traf ihn seitlich am Kopf. Ein hohler Schlag. Jones wankte. Ich riss ihm die Alarmschnur aus der Hand und schleuderte sie so weit von ihm weg, wie ich konnte. Seine Augen verdrehten sich und schließlich sank er wie Pudding zu Boden.
Sehr schön! Jetzt musste ich ihn nur noch fesseln, bevor er wieder zu Bewusstsein kam. Bloß womit? Ich verfluchte mich selbst, weil ich mich nicht besser vorbereitet hatte. Ich hätte ein Seil bereitlegen müssen oder Klebeband. Mein Hemd war das Einzige, was mir auf die Schnelle einfiel. Das hing an einem Haken neben der Tür. Ich begann bei dem Riss am Rücken, den ich genäht hatte. Dort war der Stoff am dünnsten und ich brauchte weniger Kraft. Krrrr. Der Stoff ging in Fetzen.
Ich zerrte und riss, bis ich eine Handvoll brauchbare Streifen hatte. Dann kniete ich neben Jones und band mit ein paar Streifen seine Fußknöchel aneinander. So, der würde vorläufig nirgendwohin gehen. Jetzt noch seine Handgelenke. Ich betrachtete das bleiche Gesicht, die Säcke unter den geschlossenen Augen. Eigentlich war er ziemlich weiß und still.
Die Angst schloss sich wie ein enges Band um meinen Magen. Hatte ich vielleicht zu fest zugeschlagen? Wenn ich ihn nur nicht umgebracht hatte! Ich legte meine Hand auf seinen Hals, an die Stelle, an der ich die Schlagader vermutete. Kein Herzschlag! Auch mein eigenes Herz setzte einen Augenblick aus. Aber als ich meinen Zeigefinger suchend hin- und herschob, spürte ich ein winziges Klopfen. Zum Glück, Jones lebte noch!
Erleichtert wickelte ich einen Stofffetzen um seine Handgelenke. So fest wie möglich anziehen – einen Doppelknoten darauf, fertig.
Moment, die Alarmschnur noch. Ich würde sie ein für alle Mal unschädlich machen! In den Abfluss, dort gehörte sie hin. Ich raffte sie vom Boden auf, rannte ins Badezimmer und deponierte sie in der Toilettenschüssel. Mein Finger ging zur Spültaste.
»Was ist denn hier los?«, erklang eine Stimme.
2
Lara!
Ich biss mir vor Schreck auf die Zunge. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen.
»War das Seven?
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