Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
Geschmack.
Er scheint uns zu beobachten, aber sicher bin ich mir nicht. Jetzt schaut er weg. Erst denke ich, dass er sich ertappt fühlt, aber offenbar sucht er jemanden.
Ich behalte ihn trotzdem im Auge. Er ist Anfang zwanzig,ziemlich klein, aber durchtrainiert. Vielleicht ein Fitnessfreak. Oder jemand mit einer Spezialausbildung.
»Hast du einen Freund?«, frage ich das Mädchen.
Das würde den bärtigen Typen erklären.
»Zurzeit nicht«, antwortet sie und strahlt mich an. Offenbar hat sie meine Frage missverstanden. »He, wollen wir ein Erinnerungsfoto von uns machen?«, fragt sie.
Sie trägt noch mehr Lipgloss auf. Ihre Lippen glänzen im Licht des Laptop-Monitors neben ihr.
Ich sehe mich nach dem bärtigen Mann um, aber er ist verschwunden.
»Sorry, aber ich muss wieder in die Schule.«
Ich strecke die Hand aus und sie gibt mir das Handy zurück.
»Wo musst du denn hin?«
Ich zucke die Schultern und murmle irgendwas Unverständliches. Dann drehe ich mich um und lasse sie stehen.
Das war nicht gerade nett.
Egal. Ich hab einen Job zu erledigen.
Als ich den Laden verlasse, spüre ich es sofort.
Da ist jemand.
Jemand, der mich beobachtet.
Es ist nur ein vages Gefühl.
Ist es der Zottelbär?
Unwahrscheinlich.
Oder der bärtige Typ aus dem Apple Store?
Vielleicht.
Ich bleibe stehen, fahre meine Antennen aus und suche die Umgebung nach allen Seiten ab.
Dann mache ich einen Schritt und bleibe wieder stehen.
Ich registriere nicht die kleinste Regung.
Also gehe ich weiter den Broadway hinauf Richtung Norden, zurück zur Schule. An der Ecke Amsterdam Avenue bleibe ich an der roten Ampel stehen. Ich nutze die Gelegenheit, um alles um mich herum unauffällig zu scannen.
Immer noch nichts.
In meiner Ausbildung habe ich gelernt, meinem Instinkt zu folgen, mich aber nicht blind auf ihn zu verlassen.
Man muss sich immer absichern.
Ich nicke einem Wachmann zu, der rauchend im Eingangeines Drugstores steht. An der 72nd Street biege ich links ab und gehe geradeaus bis zur West End Ave, wo weniger los ist. Hier kann mich niemand verfolgen, ohne dass es auffällt.
Und da spüre ich es wieder.
Er folgt mir wie ein Schatten.
Es ist nicht der Zottelbär. Der würde mir viel dichter auf die Pelle rücken, weil er mich nervös machen wollte.
Der Schatten ist geschickt. Vielleicht gehört er zum Sicherheitsteam des Bürgermeisters.
Ich gehe noch einmal mein Gespräch mit Sam durch. Könnte es sein, dass es irgendwas gibt, das ihr Angst macht? So viel Angst, dass sie ihren neuen Mitschüler von den Sicherheitsleuten ihres Vaters überwachen lässt?
Ich denke kurz darüber nach. Nein, kann nicht sein. Ich habe ihr nicht den geringsten Grund gegeben, mir zu misstrauen.
Und das bleibt hoffentlich auch so.
Aber trotzdem ist da jemand. Als ich abbiege, tut er es auch. Er geht einen Block weiter östlich den Broadway hinauf, immer auf gleicher Höhe wie ich.
Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder ich hänge ihn ab oder ich schnappe ihn mir.
Ich könnte ihn abschütteln, indem ich in irgendeinem Gebäude verschwinde, ein Taxi anhalte oder ein paar Haken schlage.
Ich könnte ihn aber auch ein für alle Mal loswerden, indem ich ihn in den Riverside Park locke und kurzerhand unschädlich mache. Vorher könnte ich ihm allerdings noch ein paar Fragen stellen. Und morgen früh würde dann irgendein Jogger seine Leiche finden.
Aber ich will nicht, dass die Polizei die Gegend hier genauer unter die Lupe nimmt.
Besser also, wenn ich ihn jetzt gleich stelle und herausfinde, wer er ist.
Ich muss wissen, ob er mit Sam irgendwas zu tun hat. Oder mit dem Programm.
Ich lege einen Zahn zu. Ich spüre, dass er auf dem Broadway in die gleiche Richtung geht wie ich.
Auf dem Weg zum Apple Store bin ich vorhin an einer Kirche vorbeigekommen. Direkt daneben war eine schmale Gasse.
Das kommt mir jetzt sehr gelegen.
An der 81st Street biege ich nach Osten ab und richte meine Energie auf den Broadway, als würde ich gleich dort auftauchen. Aber stattdessen biege ich vorher in die kleine Gasse ab, sodass ich neben der Kirche auf der 80th Street wieder herauskomme. Von dort gehe ich zur West End Ave zurück und hoch bis zur Ecke 81st Street. Hier bleibe ich stehen.
Wenn ich es richtig getimt habe, erwische ich ihn auf der 81st Street. Eine ruhige Straße mit wenig Verkehr.
Keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Ich warte noch zwei Sekunden, dann werfe ich einen Blick um die Ecke Richtung Broadway.
Kein Mensch zu
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