Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
ist eine sehr gute Köchin, egal, was sie Ihnen erzählt hat«, sagt er.
»Du meinst, bei Zabar’s können sie gut kochen«, erwidert Sam.
»Mag sein, aber durch dich ist es zu Samara’s geworden«, sagt ihr Vater.
»Lieb von dir, Dad, dass du das sagst.«
Der Bürgermeister zieht eine Digitalkamera aus der Tasche.
»Das hätte ich ja fast vergessen«, sagt er.
Als er die Kamera auf den Tisch richtet, lehne ich mich schnell zurück, damit ich nicht ins Bild komme. Ich möchte auf keinen Fall in dieser Wohnung fotografiert werden, schon gar nicht heute Abend.
Der Bürgermeister zieht seinen Teller etwas näher heran, beugt sich vor und macht ein Foto von unserem Essen. Der Blitz erhellt den Raum.
»Dad«, stöhnt Sam.
»Verewigen Sie unser Abendessen?«, frage ich.
»Nur fürs Internet. Ich poste regelmäßig was über meinen Alltag. Was ich in meiner Freizeit so mache, was ich esse. Damit etwas Transparenz ins Rathaus einkehrt.« Er lächelt verschmitzt.
»Mein Dad bloggt. Kannst du dir das vorstellen?« Sie grinst schelmisch.
Der Bürgermeister reicht mir die Kamera.
Ich sehe mir das Foto von unserem Essen an, der Brokkoli leuchtet hellgrün im Blitzlicht.
»Es war Sams Idee. Anfangs war ich ja dagegen«, sagt der Bürgermeister. »Aber inzwischen finde ich’s ganz amüsant.«
»Es macht dich ein bisschen menschlicher«, sagt Sam.
»Und was bin ich sonst? Etwa ein Monster?«
Plötzlich steht der Profi im Zimmer. Er taucht einfach auf. Ohne sich anzukündigen.
»Brauchen Sie mich?«, fragt der Bürgermeister, der ihn kurz nach mir entdeckt hat.
»Ich habe etwas blitzen gesehen«, sagt der Profi.
»Das war ich. Ich habe unser Abendessen fotografiert«, erklärt ihm der Bürgermeister.
Ich gebe ihm die Kamera zurück.
Der Profi nickt. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Bürgermeister.«
»Schon in Ordnung.«
Der Profi setzt seinen Rundgang fort.
Ich bin jetzt etwa eine Dreiviertelstunde hier. Ich vermute, dass er einmal pro Stunde seine Runde dreht. Vielleicht auch weniger oft, wenn alles ruhig ist.
Vorsichtshalber stelle ich meine innere Uhr auf eine Stunde. Er braucht höchstens noch fünf Minuten, um seine jetzige Runde zu beenden, und kommt dann erst in gut einer Stunde wieder hier vorbei.
»Diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen sind mir ein Gräuel«, sagt der Bürgermeister.
»Haben Sie sich nicht inzwischen dran gewöhnt?«, frage ich.
»An die Polizisten schon. Unsere Jungs in Uniform. Wenn ich zu irgendeinem offiziellen Anlass muss, begleiten sie mich, das ist schon in Ordnung. Aber hier bei mir zu Hause? Daran kann ich mich nur schwer gewöhnen.«
»Weshalb brauchen Sie denn zusätzliche Sicherheitsleute?«, frage ich.
Sam sieht ihren Vater an, sagt aber nichts.
»Tja, Staatsgeheimnisse, Ben«, erwidert der Bürgermeister lächelnd. Dann wechselt er das Thema. »Lasst uns essen, bevor es kalt wird.«
Ich gebe mich vorerst damit zufrieden.
Wir konzentrieren uns aufs Essen. Sam erzählt ihrem Vater von der Schule. Von ihren Noten und den Tests, ihren Mitschülern und Lehrern. Vermutlich führen Tausende von Kindern Tagfür Tag mit ihren Eltern solche Gespräche. Beim gemeinsamen Abendessen werden die Erlebnisse des Tages ausgetauscht, Fragen gestellt und beantwortet, andere werden ignoriert.
Offenbar ist das die natürlichste Sache der Welt – nur nicht für mich. Die Kommunikation mit meinen sogenannten Eltern beschränkt sich auf verschlüsselte Mitteilungen, Auftragsinformationen, Zwischenberichte. Alles hat mit meinem Job zu tun.
Aber das hier ist die Realität. So leben normale Leute.
Du verpasst nichts
, erinnere ich mich.
Selbst ein Bürgermeister führt im Vergleich zu mir ein langweiliges Leben. Ich führe ein Leben wie der Held eines Videospiels, und das ist in jedem Fall spannender.
»Ich fürchte, wir langweilen dich«, sagt Sam.
»Überhaupt nicht.«
»Du hast bestimmt gedacht, dass die Abendessen beim Bürgermeister was Besonderes wären.«
»Ehrlich gesagt, habe ich einundzwanzig Salutschüsse zwischen den einzelnen Gängen erwartet.«
»Einundzwanzig Schüsse?«, fragt der Bürgermeister. »Ist das hier ein Abendessen oder ein Begräbnis?«
Ich lache.
»Lasst noch etwas Platz fürs Dessert, ihr beiden«, sagt Sam.
»Was gibt’s denn Leckeres?«, fragt ihr Vater.
»Das ist eine Überraschung.«
»Du hast mir versprochen … «
»Du kennst mich doch, ich bin eine Lügnerin.«
»Wovon redet ihr?«, melde ich mich zu Wort.
»Heute ist ein
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