Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
Ohren sind wie taub.
Mein Vater
. Ich sehe ihn plötzlich deutlich vor mir. Aber es ist keine Erinnerung an unsere gemeinsamen Stunden zu Hause oder in seinem Büro. Es ist auch nicht dieser schreckliche letzte Anblick, als er mit Klebeband an den Stuhl gefesselt war. Es ist eine ganz andere Szene, die ich vor Augen habe, eine, die ich nie erlebt habe.
Mein Vater steht in einem Zimmer am Fenster und denkt an mich. Er fragt sich, ob ich noch lebe.
Der Rauchgeruch holt mich in die Realität zurück.
Ich liege auf dem Boden eines stockfinsteren Schachts. Ich bewege die Beine. Sie sind unverletzt. Ich taste meinen Körper nach Wunden ab, finde keine.
Ich drehe mich um und sehe durch den Qualm, dass Licht durch die geöffnete Tür des Umkleideraums fällt. Der Gang ist also noch frei. Ich könnte fliehen.
Aber ich tue es nicht.
Ich stehe auf und gehe gebückt weiter, halte mich dicht am Boden, um möglichst wenig Rauch einzuatmen.
Irgendwo vor mir ist Gideon. Ich muss ihn aufhalten.
Nach einigen Metern wird die Luft klarer und ich erkenne die LE D-Leuchten , die sich am Boden entlangziehen. Gerade genug Licht, um mich zu orientieren.
Ich vermute, dass am Ende des Gangs noch eine zweite Sprengfalle ist. Jedenfalls hätte ich an Gideons Stelle Ein- und Ausgang gesichert. Und ich wette, genau das hat er auch getan.
Ich gehe schneller. Immer schneller. Ich richte meine Energien auf Gideon, versuche ihn zu lokalisieren.
Nachdem ich viermal abgebogen bin, kann ich ihn spüren.
Dann sehe ich ihn.
Hinter der letzten Biegung. Seine Silhouette zeichnet sich vor der hellen Öffnung des Schachts ab. Er geht schnell, arglos und unbekümmert.
Er dreht sich kein einziges Mal um. Wahrscheinlich glaubt er, ich wäre bei der Explosion umgekommen. Er ist nur noch auf seine Mission konzentriert. Ich habe denselben Fehler gemacht. Ich bin auch mit Scheuklappen herumgelaufen. Ich weiß, wie fatal das ist.
Als ich dicht hinter ihm bin, packe ich ihn und schlinge ihm den Arm um den Hals. Er ist überrascht, schaltet aber schnell.Er tritt mit dem Bein nach hinten und versucht, sich aus meiner Umklammerung zu befreien.
Ich lasse nicht los. Also ändert er seine Taktik. Plötzlich dreht er sich um und verpasst mir einen Kopfstoß. Ich taumele zurück.
»Du gibst wohl nie auf«, knurrt er.
»Stimmt.«
»Du wirst mir immer sympathischer.«
Plötzlich zieht er etwas aus der Innentasche seiner Jacke.
Ein Messer.
Die Klinge ist schwarz, sodass man sie im Dunkeln kaum sehen kann. Das Messer zischt durch die Luft.
Mike hatte auch so ein Messer. Ich erinnere mich noch an den Schock, als er mir damit in die Brust stach, und den Schmerz, als die Klinge sich mir ins Fleisch bohrte.
Damals habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe mich auf das Messer konzentriert, statt auf Mike. Und deshalb hat er mich besiegt.
Ich werde den gleichen Fehler nicht noch einmal machen.
Gideon macht einen Satz auf mich zu. Ich springe zurück. Die Klinge saust vor mir durch die Luft, ohne mich zu treffen.
Gideon kommt näher, ich bleibe stehen. Ein paar Schritte hinter mir macht der Gang einen Knick. Ich muss ihn irgendwie ablenken, damit er mir folgt.
»Der Premierminister ist ein cooler Typ«, sage ich. »Wieso wollt ihr so jemand töten?«
»Auch coole Typen machen Fehler. Ich weiß nicht, welche er gemacht hat. Ist mir auch egal. Ich hab meine Befehle und die befolge ich. Ist auch viel einfacher für mich.«
Er hat recht. Es ist wirklich einfacher, wenn man Anweisungen befolgt, ohne sich irgendwelche Gedanken darüber zu machen. Wahrscheinlich landet man dann nicht in einem engen Gangund kämpft um sein Leben. Und wenn doch, dann hat man sich die Sache wenigstens nicht selber eingebrockt.
Soldaten wie Gideon und ich sind nicht dafür ausgebildet, eigene Entscheidungen zu treffen.
Aber warum bin ich dann überhaupt hier?
Um das Leben des Bürgermeisters zu retten.
Gideon kommt auf mich zu, schwingt das Messer hin und her. Ich mache einen Satz nach hinten und verschwinde um die nächste Ecke. Er folgt mir. Er ist so auf mich konzentriert, dass er nicht merkt, dass er jetzt mit dem Rücken zur Wand steht.
»Deine Mission kannst du vergessen«, sage ich.
»Du denkst nicht nur zu viel, du redest auch zu viel. Leider hörst du ja nicht auf mich.«
In diesem Moment springe ich mit einem Schrei auf ihn zu, so wie es ein emotionaler Kämpfer tun würde.
Meine Angriffstaktik überrascht ihn, scheint ihn aber nicht im Geringsten zu beunruhigen. Ich
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