Boys Dont Cry
Neugierig, wer es war, schnellte ich herum. Eine brünette Frau mit müden, schlaffen Gesichtszügen, passend zu ihrer müden, schlaffen Gesamterscheinung. An der Hand hielt sie einen etwa sechs- oder siebenjährigen Jungen. »Wenigstens ist er für sein Kind da. Wenigstens hat er sich nicht wie viele Männer aus dem Staub gemacht.« Die Frau legte einen Arm um ihren Jungen und zog ihn näher zu sich, während sie sprach.
Auf ihre Bemerkung hin hätte ich mich eigentlich besser fühlen sollen, aber Pustekuchen.
Die blonde Frau, die mir so zugesetzt hatte, schürzte die Lippen und bedachte mich mit einem letzten verächtlichen Blick, ehe sie sich abwandte. Andere Wartende vor ihr betrachteten mich voller Missbilligung.
»Was denn?«, fragte ich. Ich spuckte das Wort mit heftigem Groll heraus.
Alle blickten bemüht nach vorn.
Und ich hätte am liebsten mit all meiner Kraft auf irgendetwas eingeprügelt. Oder auf jemanden. Ich wäre am liebsten auf einen Zug in Richtung irgendwo gesprungen, so, wie ich war, ohne Gepäck. Ich wäre am liebsten in einem riesengroßen schwarzen Loch versunken.
Die Erkenntnis traf mich wie eine Ladung Ziegelsteine: Wie ich es auch drehte und wendete, in dieser Situation war ich immer der Verlierer.
Schon paradox – als ich mir von meinen Ersparnissen mein Handy gekauft hatte, gab es eine dicke Anleitung dazu.
Als Dad unseren Rechner gekauft hatte, enthielt das Paket diverse Handbücher.
Als Melanie Emma bei mir abgeladen hatte, war nichts dabei. Kein Handbuch, keine Instruktionen, kein Schnellkurs, nichts.
Ich gab mir alle Mühe, aber wenn Emma bei mir blieb, würde sich jeder, mit dem ich zu tun hatte, das Recht herausnehmen, mich zu verurteilen oder zu kritisieren oder irgendwelche Kommentare abzugeben. Und wenn Emma fortging, wäre das auch nicht anders.
Was ich auch tat, wie sehr ich mich auch anstrengte, es würde nie genug sein.
24 ADAM
An manchen Tagen umhüllen mich die Erinnerungen wie ein warmer, sicherer Kokon. Und an manchen Tagen umschließen mich die Erinnerungen wie pieksender, rostiger Stacheldraht. Wie kann es sein, dass die gleichen Erinnerungen so gegensätzliche Gefühle hervorrufen?
Heute denke ich an meine Mum.
Und es tut weh.
25 DANTE
Obwohl mir sämtliche Instinkte rieten, umzukehren und nach Hause zu gehen, tat ich es nicht. Sollte ich mir etwa von einer ignoranten alten Schachtel den Tag verderben lassen? Was das betraf, hatte ich mich bereits entschieden. Drei Straßen und nur wenige gewechselte Worte weiter erreichten wir den Park, wo ich mit dem Buggy viel leichter vorankam. Auf dem Weg dorthin hatte ich mindestens drei- oder viermal auf die Straße ausweichen müssen, weil irgendwelche rücksichtslosen Penner ihr Auto fast mit der gesamten Breite auf dem Bürgersteig geparkt hatten, weshalb ich den Buggy nicht vorbeischieben konnte. Vor Emma wäre mir das nicht einmal aufgefallen. Jetzt hätte ich am liebsten jedes einzelne Auto, das mir den Weg versperrte, mit dem Schlüssel zerkratzt.
Auf dem Kinderspielplatz setzte ich Emma in eine Babyschaukel, nachdem ich mich sorgsam vergewissert hatte, dass sie nicht herausrutschen konnte. Dann schwang ich sie sachte vor und zurück. Es machte ihr solchen Spaß, dass sie ganz verzückt lachte. Ihre unschuldige Freude an einem so popeligen Ding wie einer Babyschaukel brachte mich zum Lächeln. Langsam flaute der Sturm, der immer noch in mir tobte, ab und legte sich schließlich ganz. Ich sah mich auf dem Spielplatz um und registrierte all die anderen Kinder, die ihren Spaß hatten. Wie lange war ich nicht mehr hier gewesen! Als ich das Gelächter und Geschrei der Kinder hörte, musste ich daran denken, wie unheimlich gern ich immer hier gespielt hatte. Seltsam, dass ich das vergessen hatte.
Es war ja nicht so, als hätte ich noch nie über eine Frau und Kinder nachgedacht. Ehrlich gesagt war es mir sogar ähnlich unausweichlich erschienen wie eine Hypothek und das Zahlen von Steuern. In zehn oder fünfzehn Jahren hätte ich kein Problem damit gehabt. Überhaupt kein Problem. Es lag nicht an Emma. Es war nur das Timing. Nur mein lausiges Timing.
»Irgendwie seltsam, das hier«, sagte Collette.
»Ja, für mich auch«, stimmte ich ihr zu.
Wir standen beisammen und doch trennte uns etwas. Ich konzentrierte mich darauf, Emma zu schaukeln.
»Wie war es denn gestern noch in der Bar Belle?«, fragte ich schließlich.
»Ehrlich gesagt, ich habe mich eine halbe Stunde nach dir verdrückt. Mir war die
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