Bradbury, Ray - Halloween
erhofften sie sich von
ihm eine Erklärung für ihr Erstaunen.
»Jaa-haha, Jungs, das war gehext! Habt ihr’s vergessen? Nein, ihr habt’s nie gewußt!«
Er lehnte sich, noch immer von seinem nachlassenden Lachanfall geschüttelt, an den Baum, so daß
der Stamm erzitterte und die tausend Kürbisse bebten
und die Lichter in ihnen tanzten und blakten.
Durchwärmt von ihrem Gelächter, standen die
Jungen auf und tasteten sich ab, um zu sehen, ob irgend etwas gebrochen war. Es war nichts gebrochen.
Sie standen in einer kleinen Gruppe unter dem Halloweenbaum und warteten, denn sie wußten, daß dies
nur der Anfang von etwas Neuem und Besonderem
und Großartigem und Schönem war.
»Tja«, sagte Tom Skelitt.
»Tja, Tom«, sagte der Mann.
»Tom?« riefen alle. »Bist du das?«
Tom erstarrte in seiner Skelett-Verkleidung.
»Oder ist es Bob oder Fred oder …? Nein, nein,
das muß Ralph sein!« sagte der Mann schnell.
»Stimmt, die sind alle dabei«, sagte Tom, seufzte
erleichtert und drückte sich die Maske fester aufs
Gesicht.
»Ja, alle dabei«, riefen die anderen.
Der Mann nickte und lächelte. »So, nun wißt ihr
etwas über Halloween, das ihr vorher nicht wußtet.
Wie hat euch meine Hexerei gefallen?«
»Hexerei, ja, genau.« Die Jungen begannen sich
für den Gedanken zu erwärmen. Er machte ihre Gelenke lockerer und streute ein Körnchen Übermut in
ihr Blut. Sie spürten ihn rings um sich her, und er
wurde größer und größer, bis ihre Augen leuchteten
und ihre Münder sich verzogen und man ihre Welpenzähne sehen konnte. »Aber klar!«
»Und das haben Sie immer an Halloween gemacht?« fragte der Hexenjunge.
»Das und noch mehr. Aber ich habe mich ja noch
gar nicht vorgestellt. Ich heiße Downground. Chitinus Charybdis Downground. Erinnert euch das an
etwas? Fällt euch dazu etwas ein?«
O ja, dachten die Jungen, dazu fällt uns was ein …
Downground.
»Ein guter Name«, sagte Downground, und seine
Grabesstimme klang nach Nacht und Kirche. »Und
eine schöne Nacht. Und die ganze tiefe, dunkle, lange, wilde Geschichte von Halloween wartet darauf,
uns zu verschlucken.«
»Uns zu verschlucken?«
»Ja!« rief Downground. »Seht euch doch an! Warum trägst du eine Totenkopfmaske? Und du da, mit
der Sense, und du, der sich als Hexe verkleidet hat?
Und du, und du, und du?« Er zeigte mit seinem knochigen Finger auf jeden einzelnen von ihnen. »Ihr
wißt es nicht, stimmt’s? Ihr setzt euch bloß Masken
auf und zieht euch alte, nach Mottenkugeln riechende
Kleider an und macht die Straßen unsicher, aber ihr
wißt nicht wirklich, warum ihr das macht, hab ich
recht?«
»Tja«, sagte Tom hinter seiner weißen Maske mit
kleiner Piepsstimme, »äh … nein.«
»Ja«, sagte der mit der Teufelsfratze, »wenn ich
darüber nachdenke … Warum ziehe ich mir eigentlich so was an?« Er befühlte den roten Umhang, die
Gummihörner und die schöne Mistgabel.
»Und ich das hier«, sagte das Gespenst und zog
seine lange, weiße Leichentuchschleppe nach.
Alle Jungen fragten sich das. Sie strichen verwundert über ihre Verkleidungen und rückten die Masken zurecht.
»Würde es euch dann nicht Spaß machen, es herauszufinden?« fragte Mr. Downground. »Ich werde
es euch erzählen. Nein, ich werde es euch zeigen! Wenn wir nur mehr Zeit hätten!«
»Aber es ist doch erst halb sieben. Halloween hat
noch nicht mal richtig angefangen«, sagte Tom-mitden-kalten-Knochen.
»Stimmt«, sagte Mr. Downground. »Also gut,
Jungs, dann kommt!«
Er ging. Sie rannten.
Am Rand der tiefen, nachtschwarzen Schlucht, im
schwachen Licht seltsamer Sterne, kehrte er dem
Mond den Rücken und zeigte auf einen Punkt über
dem Horizont, über den Spitzen der Hügel. Sein
schwarzer Umhang und die Kapuze, die sein fast
fleischloses Gesicht halb verdeckte, halb enthüllte,
flatterten im Wind.
»Da, Jungs – seht ihr es?«
»Was?«
»Das Unbekannte Land. Da ist es. Schaut lang,
schaut tief, versenkt euch. Die Vergangenheit, Jungs,
die Vergangenheit. O ja, sie ist dunkel und voller
Alpträume. Alles, was Halloween je gewesen ist,
liegt dort begraben. Wollt ihr es ausgraben? Habt ihr
genug Mumm?«
Sein Blick brannte.
»Was ist Halloween eigentlich? Wie hat es angefangen? Wo? Und warum? Zu welchem Zweck? Hexen, Katzen, Mumien, Gespenster – das alles gibt es
dort, in dem Land, aus dem nie jemand zurückkehrt.
Wollt ihr in den finsteren Ozean springen? Wollt ihr
durch den finsteren Himmel fliegen?«
Die Jungen schluckten hart.
Einer sagte
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