Bradbury, Ray - Halloween
mageren Fuß vorsichtig
auf die erste Stufe. Angesichts von soviel Kühnheit
hielten die anderen den Atem an. Aber dann war es
schließlich die ganze Gruppe, eine kompakte Masse
von schwitzenden Jungen, die sich, heftig erschauernd und unter den schrillen Schreien der Stufenbretter, die Treppe hinaufschob. Jeder von ihnen wollte
zurück, wollte umkehren und davonrennen, fand sich
aber eingezwängt von den Jungen hinter und vor und
rechts und links von ihm. Und so machte dieses
amöbenhafte Gebilde, das hier und da ein Pseudopodium aufzuweisen hatte, dieses schwitzende Knäuel
aus Jungen schließlich einen Satz und rannte los und
kam vor der Haustür zum Stehen, die so hoch wie ein
Sarg und doppelt so schmal war.
Einen langen Augenblick standen sie da. Verschiedene Hände wurden ausgestreckt wie die Beine
einer riesigen Spinne, als wollten sie den kalten
Knopf drehen oder nach dem Türklopfer greifen. Inzwischen gaben die alten Dielen unter ihren Füßen
leicht nach und drohten bei jeder Gewichtsverlagerung zu brechen und sie in einen von Kakerlaken
wimmelnden Abgrund stürzen zu lassen. Die Dielen
waren auf A oder F oder C gestimmt und gaben eine
unheimliche Musik von sich, als die schweren Schuhe über sie schlurften. Ja, wenn sie Zeit gehabt hätten
und es Mittag gewesen wäre, hätten sie vielleicht eine Leichenpolka oder einen Gerippewalzer getanzt,
denn wer kann schon einer alten Veranda widerstehen, die wie ein riesiges Xylophon ist und nur darauf
wartet, daß man auf ihr herumspringt und Musik
macht?
Aber daran dachten sie nicht.
In seiner Verkleidung als schwarze Hexe schrie
Henry-Hank Smith (denn er war es): »Da!«
Und alle sahen auf den Klopfer an der Tür. Tom
streckte zitternd die Hand danach aus.
»Ein Marley-Klopfer.«
»Ein was?«
»Du weißt schon: Scrooge und Marley, aus Ein
Weihnachtslied!« flüsterte Tom.
Und tatsächlich: Der Türklopfer war in Form eines
Gesichtes gestaltet, des Gesichtes eines Mannes mit
schrecklichen Zahnschmerzen. Seine Wange war
verbunden, sein Haar war wirr, seine Zähne standen
vor, und sein Blick war wild. Es war der mausetote
Marley, Scrooges Freund, der Besitzer von Liegenschaften jenseits des Grabes, der verdammt war,
heimatlos durch die Welt zu ziehen, bis …
»Klopf doch mal«, sagte Henry-Hank.
Tom Skelitt nahm des alten Marleys kaltes, stoppeliges Kinn, hob es an und ließ es los.
Der dumpfe Knall ließ alle zusammenzucken.
Das ganze Haus erbebte. Seine Knochen knirschten. Springrollos rollten sich blitzschnell auf, so daß
die Fenster sie mit weitaufgerissenen, gespenstischen
Augen anstarrten.
Tom Skelitt sprang behende wie eine Katze zurück
zum Geländer der Veranda und sah hinauf.
Auf dem Dach drehten sich seltsame Wetterfahnen. Zweiköpfige Hähne wirbelten im plötzlichen
Wind. Ein Wasserspeier an der Westseite des Hauses
stieß aus den Nasenlöchern zwei Wölkchen Regenrinnenstaub aus. Und als der Wind sich gelegt und
die Wetterhähne aufgehört hatten sich zu drehen, fielen einzelne Herbstblätter und Spinnwebfetzen durch
die langen, schlangengleich gewundenen Regenrin
nen und wurden in das dunkle Gras gespuckt.
Tom fuhr herum und sah zu den leicht bebenden
Fenstern. Mondlichtspiegelungen erzitterten im Glas
wie Schwärme aufgeschreckter Elritzen. Dann ruckte
die Haustür, der Knopf wurde gedreht, Marleys Gesicht auf dem Türklopfer verzog sich zur Grimasse,
und die Tür wurde weit aufgerissen.
Der Luftzug der so plötzlich geöffneten Tür hätte
die Jungen fast von der Veranda geweht. Sie packten
einander am Ellbogen und schrien.
Die Dunkelheit im Haus atmete ein. Wind fuhr
durch die sperrangelweite Tür. Er zerrte an den Jungen, zerrte sie über die Veranda. Sie mußten sich
weit zurücklehnen, um nicht in die lange, dunkle
Halle geweht zu werden. Sie kämpften dagegen an,
sie schrien und klammerten sich an das Geländer.
Doch dann ließ der Wind nach.
In der Finsternis bewegte sich Finsternis.
Drinnen im Haus, noch weit entfernt, ging jemand
zur Tür. Wer immer es war – er mußte ganz schwarz
gekleidet sein, denn man sah nichts außer einem
bleichen Gesicht, das in der Luft zu schweben
schien.
Ein böses Lächeln kam näher und hing über ihnen
in der Türöffnung.
Hinter dem Lächeln verbarg sich ein großer Mann
im Schatten. Sie konnten jetzt seine Augen sehen, die
sie anstarrten – kleine Punkte aus grünem Feuer, das
in kleinen schwarzen Höhlen glomm.
»Tja«, sagte Tom, »äh … Was Schönes her, sonst
hexen
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