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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
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wir.«
»Was Schönes?« sagte das Lächeln im Dunkeln.
»Sonst hexen wir?«
»Ja.«
Irgendwo spielte der Wind in einem Schornstein
Flöte; es war ein altes Lied über Zeit und Finsternis
und weit entfernte Länder. Der große Mann klappte
sein Lächeln zusammen wie ein blitzendes Taschenmesser.
»Hier gibt es nichts«, sagte er. »Hier wird nur gehext!«
Die Tür fiel krachend zu.
Im Haus donnerte es, und Staubschauer fielen herab.
Staub schoß aus den Regenrinnen, in Flocken, wie
flaumig behaarte Kätzchen.
Staub stob aus offenen Fenstern. Staub wirbelte
aus den Ritzen zwischen den Dielen zu ihren Füßen
empor.
Die Jungen starrten auf die fest verschlossene Tür.
Der Marley-Türklopfer verzog nicht mehr schmerzlich das Gesicht, sondern lächelte böse.
»Was hat er damit gemeint?« fragte Tom. »›Hier
gibt es nichts, hier wird nur gehext.‹«
Als sie um das Haus herumgingen, staunten sie,
was für Geräusche es machte. Es war ein Durcheinander aus Flüstern, Quietschen, Knarren, Heulen und
Murmeln, und der Nacht wind sorgte dafür, daß die
Jungen alles gut hören konnten. Bei jedem Schritt
beugte sich das Haus leise stöhnend über sie.
Sie bogen um die zweite Ecke des Hauses und
blieben stehen.
Denn dort stand ein Baum.
Ein Baum, wie sie ihn noch nie in ihrem Leben
gesehen hatten.
Er stand mitten in dem riesigen Garten hinter dem
schrecklich seltsamen Haus. Er ragte über dreißig
Meter hoch auf, höher als die hohen Giebel, und er
war voll und rund und hatte starke Äste und trug eine
bunte Mischung aus roten, braunen und gelben
Herbstblättern.
»Aber seht doch mal«, flüsterte Tom. »Was hängt
bloß da im Baum?«
Denn im Baum hingen Kürbisse jeder Form und
Größe, in Farben zwischen einem rauchigen Gelb
und einem leuchtenden Orange.
»Ein Kürbisbaum«, sagte einer.
»Nein«, sagte Tom.
Der Wind fuhr durch die oberen Zweige und wiegte sanft die leuchtenden Kugeln.
»Ein Halloweenbaum«, sagte Tom.
Und er hatte recht.
5

D
    ie Kürbisse an diesem Baum waren keine normalen Kürbisse. Jeder hatte ein geschnitztes Gesicht. Jedes Gesicht war anders. Jedes Auge sah seltsamer aus als das andere. Jede Nase war merkwürdiger verformt als die andere. Jeder Mund war auf eine
neue Art zu einem schrecklichen Grinsen verzogen.
    Es mußten wohl tausend Kürbisse sein. Sie hingen
dort oben an jedem Ast. Tausend grinsende Münder.
Tausend Fratzen. Und zweimal tausend starrende,
zwinkernde, blinzelnde, frisch ausgeschnittene Augen.
    Die Jungen starrten hinauf, und dann geschah etwas Unerwartetes.
Die Kürbisse erwachten zum Leben.
Bei einem Kürbis nach dem anderen gingen in
den ins Fruchtfleisch geschnittenen Höhlen die Kerzen an. Zuerst am Fuß des Baums, bei den Kürbissen, die ihnen am nächsten waren, dann hier und da
und dort, weiter oben und hinten, drei Kürbisse hier,
sieben Kürbisse dort oben, ein Dutzend zusammengedrängt da drüben – hundert, fünfhundert, tausend
Kürbisse entzündeten ihr Licht, das heißt, erhellten
ihre Gesichter, und Feuer trat in ihre viereckigen
oder runden oder eigenartig geschlitzten Augen.
Zwischen ihren Zähnen flackerten Flammen. Aus
ihren grob ausgeschnittenen Ohren sprühten Funken.
Und von irgendwoher flüsterten und sangen zwei
oder drei oder auch vier Stimmen eine Art Singsang
oder ein altes Matrosenlied über die Zeit, den Himmel und die Erde, die sich umdreht und schlafen
geht. Die Wasserspeier spuckten Spinnenstaub:
Groß und breit und hoch und weit …
     
Aus einem Schornstein auf dem Dach quoll eine rauchige Stimme:
     
Ein Anblick wie aus der Ewigkeit …
     
Durch ein offenes Fenster trieb der Wind Spinnwebfetzen herbei:
     
Reckt sich hinauf in der Sterne Raum:
Der riesige dunkle Halloweenbaum.
     
Die Kerzen flackerten und blakten. Der Wind fuhr
durch die Münder der Kürbisse und summte:
    Verbrannt das Laub zu Gold und Rot,
Das Jahr entschläft, das Gras ist tot,
Doch hängt die Ernte hoch zu schaun
Die Bilder aus Kerzen im Halloweenbaum!
Tom spürte, daß seine Lippen sich bewegten wie eine kleine Maus und singen wollten:
    Kerzen flackern, der Mond, erzieht,
Vorm kalten Wind das Mauslaub flieht,
Aus dem Schornstein quillt der schwarze Flaum
Hoch über dem mächtigen Halloweenbaum.
Die Kürbisse grinsen das Grinsen der Katze,
Das Grinsen der Hexe, das Grinsen der Fratze,
Das Grinsen des Schnitters an des Lebens Saum –
Sie alle grinsen leuchtend am Halloweenbaum.
    Aus Toms Mund schien Rauch zu strömen:
»Der Halloweenbaum …«
Die

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