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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
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mit alten Zirkusplakaten bedeckt war, mit Spruchbändern, die der Wind vor dreißig, vierzig, fünfzig
Jahren hier angeschlagen hatte. Durchreisende Zirkusse hatten eine fünfundzwanzig Zentimeter dicke
Schicht von Spuren hinterlassen.
»Einen Drachen, Jungs! Baut einen Drachen!
Schnell!«
7

K
    aum hatte er das gerufen, da riß Mr. Downground auch schon ein großes Stück Papier von
der Scheunenwand. Es flatterte in seinen Händen:
das Auge eines Tigers! Er zerrte ein weiteres altes
Plakat los: das Maul eines Löwen!
    Der Wind trug den Jungen das Gebrüll Afrikas zu.
Sie blinzelten. Sie rannten. Sie kratzten mit den
Fingernägeln. Sie zupften. Sie rissen Streifen und
Stücke und lange Bahnen ab: geschmeidige Körper,
Reißzähne und ein durchdringender Blick, eine blutende Flanke, blutrote Krallen, ein Schwanz, ein
Sprung, ein Satz, ein Schrei. Die ganze Scheunenwand war eine alte Zirkusparade, die im Vorbeiziehen angehalten worden war. Sie zerrten alles herunter. Und jedesmal waren eine Kralle, eine Zunge, ein
wild blickendes Katzenauge dabei. Darunter warteten
Schichten mit Dschungel-Alpträumen, wunderbaren
Begegnungen mit Eisbären, Zebras in panischer
Flucht, von umherstreifenden Löwenrudeln, angreifenden Nashörnern und kletternden Gorillas, die am
Rand der Mitternacht hinaufhangelten und sich dem
Morgengrauen entgegenschwangen. Tausend Tiere
waren hier versammelt und warteten ungeduldig darauf, befreit zu werden. Und jetzt waren sie befreit,
wurden von Fäusten und Händen und Fingern gehalten und pfiffen im Herbstwind, als die Jungen über
die Wiese rannten.
Downground zog alte Zaunpfosten aus dem Boden, band sie mit Draht zu einem Drachenkreuz und
trat zurück, um das Drachenpapier in Empfang zu
nehmen, das die Jungen mit vollen Händen herbeischleppten.
Er warf die Fetzen auf das Kreuz und verband sie
funkensprühend mit der Hitze seiner hornigen Hände.
»Jui!« Die Jungen waren begeistert. »Seht euch
das an!«
Sie hatten so etwas noch nie gesehen. Sie hatten
nicht einmal gewußt, daß Menschen wie Downground imstande waren, mit einem Zwicken hier,
einem Ziehen da, einem Fingerdruck dort ein Auge
mit einem Zahn, einen Zahn mit einem Maul und ein
Maul mit einem Luchsschwanz zu verbinden. Und
alles, alles verschmolz wunderbar zu einem einzigen
Ding, zu einem wilden Dschungel-Zoo-Puzzle, das
sich bauschte, das befestigt, geklebt und gebunden
wurde, und das dabei wuchs und wuchs und im Licht
des aufgehenden Mondes Farbe, Klang und Gestalt
bekam. Noch ein blutgieriges Auge. Noch ein hungriges Maul. Ein wütender Schimpanse. Ein völlig
verrückter Mandrill. Ein kreischender Rotkopfwürger. Die Jungen rannten und brachten die letzten
Schrecken herbei, und dann war der Drachen fertig.
Das vergangene Leben lag ausgebreitet, verschweißt
von den hornigen Händen, von denen noch immer
bläulicher Rauch aufstieg. Mit der letzten kleinen
Flamme, die an seinem Daumen züngelte, steckte
sich Mr. Downground eine Zigarre an und lächelte.
Und im Licht seines Lächelns konnte man sehen,
was der Drachen in Wirklichkeit war: ein Drachen
der Zerstörung, zusammengesetzt aus Tieren, die so
wild und furchterregend waren, daß ihr Schrei den
Wind übertönte und das Herz stillstehen ließ.
Er war sehr zufrieden, und die Jungen ebenfalls.
Denn der Drachen erinnerte sie irgendwie an …
»Klar«, rief Tom verblüfft, »an einen Pterodaktylus!«
»Einen was ?«
»An einen Pterodaktylus, einen von diesen alten
Flugsauriern, die vor ein paar Millionen Jahren verschwunden sind und nie mehr gesehen wurden«,
antwortete Mr. Downground. »Das war gut, Junge!
Er sieht wie ein Pterodaktylus aus und ist auch einer,
und er wird uns mit dem Wind zum Orkus oder zum
Nadir oder zu einem anderen Ort mit einem schönen
Namen bringen. Aber jetzt: Seil, Bindfaden, Schnur
– schnell! Sucht! Holt!«
Sie nahmen die seit langem nicht mehr benutzte
Wäscheleine, die zwischen dem verlassenen Haus
und der Scheune gespannt war. Es waren gut dreißig
oder mehr Meter Drachenschnur, die sie Mr. Downground brachten. Er zog sie durch seine Faust, bis sie
höchst gespenstisch zu rauchen begann. Dann band
er sie an der Mitte des Drachens fest, der mit den
Flügeln schlug wie ein verirrter, auf diesem hohen,
fremden Gestade gestrandeter Rochen. Er kämpfte
um ein Leben im Wind. Er lag auf dem Gras und
zappelte und flatterte auf den Wogen aus Luft.
Downground trat zurück, gab der Schnur einen
Ruck, und

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