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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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wären schon lange aus.
    Freier machte das Warten mürbe. Sie mussten den Schlafsaal mit vier- oder fünfhundert Umsiedlern te ilen, fast alle aus Südbessarabien , aus der Gegend um Leipzig, Kulm und Anschakrak . Insgesamt hatte die VoMi drei Hallen hergerichtet, A wie Auensee, B wie Biberach und C, die größte, wie Cecilienhof. In Saal C waren die Männe r untergekommen – von wohnen mochten sie nicht sprechen, es war nur ein Lager, in dem sie auf ihre Zukunft warteten –, währ end sich die Frauen die beiden kleineren Schlafsäle A und B teilten. Strikt nach Ge schlecht ging es bei der VoMi; es war für alle besser so, dachte Freier. Nur die Säuglinge durften bei ihren Müttern bleiben, weil sie noch gestillt wurden, und es wä re den Frauen peinlich gewes en mit ihren prallen Brüsten und dem Dreck, den ihre Brut machte. Als sie in Gutewerk eingewiesen wurden und ihre Schlafstellen bezogen, hatte es unter den kleinen Jungen, die bei ihren Vätern, Großvätern oder Brüdern schlafen mussten, Tränen gegeben; so waren die Kinder, zumal die jüngsten. Er war froh, dass Arthur mit seinen acht Jahren aus dem Gröbsten raus war.
    Freier drehte sich auf den Rücken, die Augen nach oben auf die Unterseite von Lobgotts grauer Matratze gerichtet , die sich durch das wabenförmige Drahtgitter presste . Er dachte an den jungen Trautmann und musste im Dunkeln schmunzeln. „So eng soll’s bei euch in Großdeutschland sein!?“, hatte Reinhold gerufen, als ihnen die Quartiere zugewiesen wurden, der freche, vorlaute Kerl – aber es war gut, dass er wenigstens noch lachen konnte, wo sein Vater es nicht bis ins Reich geschafft hatte und seine Mutt er Emmi teilnahmslos geworden war, es war die Melancholie. Der VoMi-Wart hatte Reinhold mitgenommen, und als er zurückgekommen war, war ihm der Ausgang gestrichen worden , und er hatte seine Handgelenke gerieben. So ging es einem hier, wenn man an der falschen Stelle das Mundwerk aufriss.
    In der Nacht war es unruhig im Schlafsaal. Freier hörte Grunzen, Schnarchen, Röcheln. Irgendwo kratzte sich immer einer oder pupste oder hustete. Sie knirschten mit den Zähnen, andere brabbelten, wenn ihnen ein Alp traum kam, aus Angst vielleicht, weil alles neu war, unbequem , gewöhnungsbedürftig wie ein neuer Sattel . Einige Male hatte er Jakob im Schlaf reden hören; mit den Pferden, so klang es. Den Pferden und Maultieren, die sie nicht mehr hatten – was wohl daheim aus ihnen geworden war? Der Russe und Pferde… na, aus manchem Gaul würden sie sicher schon Wurst gemacht oder ihn zu Tode geschunden haben. Auch L obgott faselte nachts, nur Kauderwelsch, bis auf das eine Mal, als es geklungen hatte, als würde er Hilli, die lange begraben war, aus schimpfen.
    Freier konzentri erte sich und horchte, ob Arthur oben mit seinen beiden Magneten spielte, sie leise klic ken ließ – das tat er, wenn er wach war . Aber Freier hörte nichts, der Junge schlief, hoffentlich, er hatte den gesunden Schlaf der Kinder .
    Zwei oder drei Betten neben ihm gluckerte ein Bauch. Hier i n Sachsen gab en sie ihnen keinen Wein zu trinken, sondern helles, schäumendes Bier, das ihnen den Leib aufblähte, schlimmer als Kraut und Kohl. Es war ungewohnt für sie, viele verzichteten freiwillig und tranken Wasser aus der Leitung. Immer hin das hatten sie hier: H ähne in jedem Haus, in jeder Küche, auch auf den Toiletten. Schwierigkeiten mit der Verdauung plagten sie trotzdem. Die einen hatten Durchfall, die anderen har ten Stuhl, der tagelang festsaß und den Bauch spannte wie eine Trommel, bevor er, begleitet von viel Wind, endlich abging. E s ist, wie es ist, dachte Freier; man konnte nicht erwarten, dass man in der Fremde nur sein e Lieblingsspeisen bekäme. W enn e s rumorte, musste es raus. L ieber einen Furz geschissen, als den ganzen Darm gerissen. Das war immer Mathilde Jeschkes große Angst gewesen, schon im Haus ihrer Eltern, als sie ein Mädchen war: dass ihr einmal der Darm platzen könnte.
    Er legte sich auf die Seite, zog die braune Wolldecke unter sein Kinn und drückte, wie zur Bestätigung, Luft aus dem Unterleib. Freier erschrak. Für einen Moment fühlte es sich an, als sei es kein Furz gewesen, sondern etwas Flüssiges, aber zum Glück war es nicht so. Er vergewisserte sich, dass untenrum alles trocken war, es hätte einen fürchterlichen Gestank gegeben. Er hätte aufstehen und sich waschen müssen. Vier Spültoiletten hatten sie in Gutewerk für al le zusammen , zwei Badezuber für die

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