Braeutigame
kämmt & und den Kirschzweig, den wir als Christbaum in der Stube stehen hatten. (Hier nehmen die Leute grüne Tannen und Fichten.) Die Sonne & die Wärme & das Wasser im Kogälnik & die Sterlets, die einem immer plötzlich um s Boot sprangen. Sogar das Heulen von den Raubtieren, wenn der Frost streng ausfiel. Es war doch auch ein Teil von allem. Man sagt , dass die Heimat immer da ist, wo die Erinnerung ist, und da bin ich nun innerlich ganz zerrissen, wie die anderen hier auch. Im Lager sind ja nur die Flüchtlinge, von denen keiner mehr ein Zuhause hat. Die auf Zwischenreise, die ihre Heimat nur noch in sich herumtragen. Von überall her sind sie gekommen.
Meine Erinnerungen sind noch alle im Dorf und bei Dir, mein Mann. Wenn ich nur wüsste, dass es Dir gut geht und wo Du bist, wie froh wäre ich. Du fehlst mir, dass ich manchmal nicht weiter weiß – nach all dieser Zeit immer noch. Die Allmacht Gottes sei mit Dir, mein geliebter Heinrich, wo immer Du bist.
Deine Dich liebende Alma
Weder log Alma, wenn sie Heinrich schrieb, noch sagte sie die Wahrheit; s o wichtig wie das, was sie in Worte fasste, waren die Dinge, die sie ihm vorenthielt.
Sie schrieb ihm nicht, dass sie an einem Wintertag glaubte – für ein ige kostbare Momente –, ihn gefunden zu haben. Sie achtete kaum auf die Männer auf den Wegen von Friedland , die aus der Sowjetunion gekommen waren und die Frauen unverhohlen , hungrig anstarrten; s ie waren zurückgekehrt mit Wunden an Leib und Seele, Offiziersgehabe, einem harschen Ton, und vielen fehlten Glieder , und allen fehlte das Weiche. Doch als Alma Mitte Dezember in ihrem alten , in der Eile nicht zugeknöpften Mantel zur Küche lief, glaubte sie, Heinrich zu erkenn en. Von hinten sah er so aus: ihr Mann.
Sie rannte ihm nach, rief seinen Namen, immer wieder, immer lauter , bis er anhielt, ohne jede Neugier in den Augen . Er ging an einem Krückstock, die Hose flatterte unter dem Knie. Ihm fehlte ein Unterschenkel – aber was zählte ein Unterschenkel , dachte sie? Er sah sie an, still, kein Muskel seines Gesicht s bewegte sich .
„Oh“, sagte sie. „Entschuldigen Sie. Ich dachte…“
Er war es nicht, natürlich nicht, der Mann war ein Fremder, und er blieb stumm und ernst. Er hatte eine Narbe am Hals und im Gesicht. Sie war schlecht verheilt und lief vom Hals an der Seite des Kopfes hoch bis ans Auge. Eine Verbrennung; die Haut war hell nachgewachsen; für alle Zeit hell und haarlos. Alma begann zu weinen, als sie ihn sah – als sie sah, dass es nicht der war, den sie er hofft hatt e. Er sah Heinrich im Gesicht nicht ein mal ähnlich. Trotzdem blickte sie ihn lange an. Er nahm sie vorsichtig in seine Arme, hielt sie fest , und Alma schütte lte sich vor Schmerz, drückte ihr e Augen zu, so fest es ging, und er weinte auch, mit offenen , weichen, gütigen Augen, tonlos. Si e entschuldigte sich, zweimal, dreimal . Es war das einzige, was sie sagte. Sie lief fort , in die Küche zu den Kartoffelsäcken, und sprach mit niemandem über die Begegnung.
Und sie verschwieg Theo in ihren Briefen. Als sie mit Minna an einem Eisenofen vor ihrer Baracke stand und Ölkuchen in der Pfanne buk, setzte die erste Wehe ein, und nur wenige Minuten später ging das Wasser ab , das warm an den Innenseiten ihrer Schenkel auf die Erde lief und süß roch . Es war eine leichte Geburt. Sie legte sich auf dem Boden ihrer Kammer auf alte Decken und Laken, um ihr Bet t nicht zu beschmutzen, und eine halbe Stunde später war das Kind da. Etwas zu früh, etwas zu klein, aber da.
„Noch ein Maul zum Fütter n“, sagte die Aufseherin, die für ihren Lagerabschnitt zuständig war. „Nun hat sie das Kind und keinen Mann – was soll es nur werden mit dieser Welt? Erst fällt das Reich, dann fallen die Sitten.“
Alma woll te ihn Giovanni nennen. E in fremder, italienischer Name, der unrussischste, der ihr einfiel. Sie verwarf den Einfall, als sie Minna und Lillis Gesichter s ah. Ihre Schwestern lachten sie hämisch aus. Also entschied sie sich für Theo. Theodor, von Gott gegeben, vielleicht auch für Gott; man konnte, fand sie, das Kind t rotz allem nicht nach dem Belz ebub rufen.
Sie ließ ihn in der Kirche von Fr iedland taufen, einer neu errichteten, glänzenden Blechhütte, in der ein Altar geweiht worden war . Der Pastor, ein Johannes Mayer mit a y , hatte keine Haare mehr und war zu alt gewesen für die Front. Er hatte den Krieg hindurch in Göttingen getauft, konfirmiert, getraut , beerdigt.
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