Braeutigame
Theo schlief, bis Pastor Mayer ihm Wasser auf die Stirn sprenkelte . Dann öffnete er die Augen, sah erwartungsvoll um sich, gab keinen Ton von sich und schlief weiter.
„Was für ein gut mütig es Kind“, sagte der Pastor. Er lächelte Alma zufrieden an und segnete alle, die zwischen dem Ofen und dem noch ungeschmückten Christbaum standen, einer krumm gewachsenen Fichte mit zwei Spitzen . Lilli war Theos Taufpatin und schenkte ihrem Neffen einen Stoffhund, den sie aus dem Är mel einer zerschlissenen Jacke genäht und mit Kieselsteinen gefüllt hatte. Der Hund war grau und zu schwer für ein Baby.
Alma liebte Theo und hasste ihn. In den Adventwochen , die Tage kalt, die Nächte eisig, ließ sie ihn die Winterluft spüren, unauffällig, so dass es niemand merkte. Das Kind hätte vergehen sollen und müssen im Frost, wie Ilse , die liebe Tochter, die in ihren Armen eingeschlafen war, auf der Flucht.
Aber Theo gedieh, von Anfang an , und biss ihr die Brustwarzen blutig . Er war und blieb kerngesu nd und stark, obwohl er zu früh auf die Welt gekommen war . Sie ließ das Milchpulver weg, dann Zucker und Honig. Er wuchs weiter.
Alma schrieb ihrem Mann nicht die Wahrheit, doch sie log nicht, sie war sparsam mit der Wirklichkeit. Wenn Heinrich tot wäre – entsetzlich. Doch wenn er lebte und nach Hause käme? Wie sollte sie ihm erklären, dass sein Töchterchen nicht mehr lebte, d ass ihre Ilse nun ein Theodor war ?
Wenkenbek ( Stormarn, Holstein), 7. Januar 1946
Lieber Heinrich,
ein Wunder, ein Wunder, ein Wunder!!! Georg ist hier – heute ist er gekommen, ganz plötzlich – wir wussten nicht, wo er abgeblieben war im Krieg, und nun ist er da, bei uns! Heinrich, ich bin so glücklich, wie ich es lange nicht war. Er ist mit uns. Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. Mein Bruder! Der einzige, der noch lebt. Ich habe geheult wie eine alte Tante. Es geht schon wieder los, während ich dies hier schreibe, aus Freude. Ich bin so sehr glücklich. Ich hatte nicht mehr daran geglaubt, ihn noch einmal wiederzusehen, und nun ruht er hier im Keller auf meinem Bett aus und ist eingeschlafen, im Sitzen, es ist für sein verletztes Knie besser, sagt er, wenn er das Bein gerade hält und steif. Es steckt noch etwas drin in diesem Bein, Granatensplitter, sagt er , und seine Nase hat einen dicken Hubbel bekommen, oben, zwischen den Augen, er hat sie sich ein zweites Mal gebrochen. Wie ein Ringboxer sieht er aus, wenn man von der Seite schaut. In seinen Kleidern sitzt er keine fünf Schritte vor mir, den Kopf auf eine aufgerollte Hose gelegt, und schläft tief und fest.
Als er kam, grinste er über beide Backen. Alles noch dran, sagte er und begutachtete wie ein kokettes Mädchen seine Arme. An der Memel war er in Gefangenschaft geraten, hat er erzählt, dann hatten sie ihn in ein Lager für Soldaten gebracht, wo er arbeiten musste, in einem Sä gewerk und in einer Ziegelei. Dort wäre er fast totgegangen, erfroren, er hat manchmal noch immer einen rasselnden Husten & er kann sein linkes Knie nicht mehr richtig bewegen & von einer Gra nate hört er schlecht, ist aber zum Glück nicht taub gegangen. Gut sieht er aus, im Großen und Ganzen. Er ist ein kluger Mann geworden, weise & reif , wie ein Alter . Er sagt, die Angst vor dem Tod hätte ihm mehr zu schaffen gemacht als der Tod selbst. Was soll man darauf erwider n, frage ich Dich? Die meiste Zeit ist ihm im Krieg langweilig gewesen, sagt er, zum Verrücktwerden langweilig. Wir fragten ihn, wie das sein könne – wie kann ein Krieg langweilig sein? Aber er wollte nicht darüber reden. Georg hat am Telefon in Friedland angerufen und sich nach uns durchgefragt, bis er Auskunft erhielt, dann hat er sich auf den Weg gemacht hierher, nach Holstein.
Aber lass mich der Reihe nach erzählen: Wir sind selbst (Min n a, Lilli und ich) am Neujahrstag mit dem Zug von Göttingen gefahren. Nach Hamburg und von dort weiter in eine kleine Stadt, wo man uns (zusammen mit zwei Dutzend anderen) in einem Laster abgeholt und nach Wenkenbek gebracht hat. Hier sollen wir nun leben und uns einrichten, sagen sie. Es liegt in Holstein, in Stormarn, das ist zwischen Hamburg und Lübeck, aber mehr zum großen Hamburg hin, im Osten der Stadt, wenn Du so willst. Es ist eine hügelige Landschaft, alles braun und grau zu dieser Jahreszeit. Sie haben viele Bäume und viele Teiche und Seen. Es ist alles beackert & es gibt nur kleine Stücke Wald und kein Steppengras .
Es wohnen wenige
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