Braeutigame
Leute hier, eigentlich, vor dem Krieg war es ein Dorf – ein paar hundert Seelen, mehr nicht, fast alle auf den Feldern. Aber nun sind viele hier untergebracht, Flüchtlinge wie wir, aus allen Teilen des Reiches. Die meisten aus dem Osten natürlich, aus Ostpreußen, von Danzig und Pommern. Viele auch aus Schlesien. Ein paar Bessarabiendeutsche sind h ier, aber s ie sind alle von den Bergen im Norden, hin zu den Karpaten, nicht aus dem Budschak. Wir haben uns umgehört, aber wir kannten niemanden.
Der Bürgermeister hier hat sich anfangs um uns gekümmert. Er ist ein anständig er Mann & heißt Freud oder Freudt & ist Witwer, vielleicht ist e r deshalb gut zu uns Mädchen. Er macht immer schöne Augen, aber auf eine nette, unaufdringliche Art. Er meint es nicht so derb, wie er tut. Andere Leute sind unfreundlich. Was haben wir nicht alles gehört, seit wir aus Liebfelde weg sind, im Lager und auf den Straßen. Sie mögen die Flüchtlinge nicht – beschimpfen sie, dass es einem graut, als wären wir keine Menschen, keine Deutschen. Pollacken, Asoziale, Rucksackdeutsche, wir haben es alles gehört, viele nennen uns die Russen, stell es Dir einmal vor, und Gesocks und Flüchtlingspack und „Mulatta“ (es soll etwas wie Neger bedeuten). In der ersten Nacht haben wir beim Schulz selbst in einem Verschlag im Stall geschlafen, bei den Kaninchen, und am nächsten Tag hat er uns einer alten Bäuerin zugewiesen, auch eine Witwe, ihr Mann ist im ersten Krieg geblieben und einer ihrer Söhne jetzt im zweiten. Erna Kühn heißt sie & sie muss um die sechzig sein. Die tut nicht mehr als sie muss, es ist ja nun Gesetz, dass Flüchtlinge untergebracht werden müssen. Da kommt das Gesindel, sagte sie, als wir zu Fuß auf dem Hof ankamen, erschöpft von der Reise. Gesindel , sagte sie, man mag es kaum glauben, und sie beschwerte sich, dass sie nur drei Frauen abbekommen hätte. Sie hatte sich, das hörten wir bald von anderen, ein paar starke Männer vom Schulzen gewünscht, die auf dem Hof mit anpacken konnten. Wie unter Hitler die aus Polen und der Ukraine, die sie gehabt hatte. Die waren stark, und sie kosteten kein gutes Geld, auch wenn sie sie natürlich durchfüttern musste, damit sie anpacken konnten. Wie es nun mit Georg wird, müssen wir sehen. Frau Kühn hat gleich gesehen, dass er ein kaputtes Bein hat und ihre Augen verdreht.
– Übrigens: W eißt du , was sie noch sagte? „Flüchtlinge und Dünnschiss kann keiner aufhalten“, sagte sie. Minna musste lachen, wie sie da s hörte, obwohl sie selbst Flüchtling ist. Vielleicht hatte sie es nicht richtig verstanden. Sie lachte sich doch selbst aus.
Frau Kühn hat eine große Stube, in der ihre guten Möbel stehen, und niemand schläft darinnen. Sie darf es nicht vorhalten, tut es aber doch. Aber wir wollen dankbar sein, dass wir überhaupt ein Dach über dem Kopf haben. Es könnte viel schlimmer sein. Vielen anderen geht es schlechter als uns. Wir haben uns in einer Stubeküche eingerichtet, im Keller im Haus. Es ist etwas feucht & riecht modrig, aber es reicht für den Anfang. Wir kommen durch eine Tür in den Hof, so dass wir nicht immer durch Frau Kühns Zimmer gehen müssen.
Mit dem Essen ist es wieder schlechter geworden. Es sind so viele, die nichts haben. Der Winter ist hart & sehr kalt. Sie sagen, so schlimm sei e s noch nie gewesen, und alle laufen rum wie die russischen Babuschkas, mit einer Schicht über der anderen am Leib, alles übereinander. So kalt wie in der Heimat kommt es mir aber nicht vor & es gibt , glaube ich , keine Wölfe hier. Auch keine Bären und andere große Tiere.
Ich habe den Verdacht, dass Frau Kühn irgendwo Kartoffeln eingekellert hat, ich weiß nur nicht wo. Für uns macht sie einmal am Tag Brotsuppe, ohne Salz und mit viel zu viel Wasser. Sie ist überhaupt keine gute Köchin & geizig. Wir hoffen, dass es im Frühlin g besser geht. Das Land ist fruchtbar hier, gute Weiden und Getreide felder . Im Moment fehlt es uns an Seife , es gibt keine Bürsten, und an meinem alten Kamm fehlen Zinken . Der letzte Klumpen Seife , den wi r aus Friedland mitgebracht hatten, ist aufgebraucht. Wie wir nun die Flecken aus unseren Kleidern kriegen, müssen wir sehen.
Der Schulze sagt, wir könnten auf Gesinde machen und in Tagelohn arbeiten. Wo wir früher selbst Hedwig und Mischka und die Knechte hatten zur Ernte, da ist es befremdlich. Ich schweige dazu, und Lilli fügt sich ja immer in alles, aber unsere Minna tut sich schwer. Sie ist bockig
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