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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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Durchreise, wie man sagt . Es ist nicht schön dort , überhaupt nicht schön, zerstört ist alles, eine Ruinenstadt. Ganz and ers, als ich es mir in Bessarabien vorgestellt hatte, wenn Lobgott davon erzählte (Reichshauptstadt u.s.w.) . Die hohen Häuser müssen einmal prächtig gewesen sein, mit Säulen, alles ist aus Stein und war einmal an gestrichen & modern . A ber es liegt in Trümmern , seit der Russe gekommen ist. Im Tiergarten war ich, aber das ist nun überhaupt kein Garten mehr. Die hohen Bäume, von denen ich so viel gehört hatte, sind gefällt, zum Heizen, sagen sie, damit die Menschen in ihren Kellern und Häus ern es warm haben. Aber Tiere gib t es noch. Eine Füchsin, rostrot , trieb sich dort mit zwei tapsigen Jungen herum und zog über die breite Straße in der Mitte. Die ließ sich nicht stören von den Menschen, die dort mit ihren Karren herumliefen, und die Jungen waren putzig. Na ja, es isst keiner Füchse, selbst jetzt nicht, zu diesen Zeiten.
    Man fragt sich, wie die Menschen dort leben können – die Frauen, Kinder. Man sieht einige Männer, aber nicht viele, nur ein paar laufen herum. Laufen, sage ich, aber die, die da sind, humpeln, auf einem Bein, auf keinem Bein , mit einem Aug e , mit keinem Aug e – Heinrich, es gibt hier alles Elend der Welt. Die Menschen sind dünn, Gespenster fast, und wir sind auch noch so dünn, wir alle, die wir hier sind, ausgemergelt im Gesicht. Wenn wieder einer an mir vorbeigeht, ein Mann – sie schauen dann meist genau hin, Du weißt, wie ich das meine – , dann denke ich an Dich und frage mich im Stillen, wie viele Beine, Arme, Augen Du noch hast? Ob es Dir an Leib und Seele gut geht, oder ob Dir ein Teufel das H eil genommen hat. Viele Männer sind gegangen, und die Frauen wirken stumpf. Sie arbeiten und arbeiten, und ich tue es genau so. Was sollte ich anderes machen? Ich arbeite (heut e Vormittag in unserer Küche hier – Essen für fünfzehnhundert!), und ich warte, dass ich von Dir höre, gel iebter Heinrich. Es ist gut, zu tun zu haben. Dass man nicht auf schwere Gedanken kommt und m elancholisch wird.
    I n Friedland haben sie uns eine Wochenschau gez eigt. Unter freiem Himmel , es kamen vielleicht zwei- oder dreitausend Menschen zusammen, eine große Schar, die meisten hier im Lager, warm angezogen wegen der Kälte draußen. Es war schrecklich , aber wir mussten hingehen . Sie haben Gestalten gezeigt, wie ich sie noch nicht gesehen habe, in den schlimmsten Wochen des Krieges nicht. Solche wie der Ukrainer, Fjodor oder wie er hieß, und seine Frau und der halbtote Junge – die damals nach Leipzig gekommen waren, beim Lobgott ans Haus, als ich dachte, es wäre der Wolf , und quiekt e. Ausgemergelte Menschen, da bin ich rund gegen, und ich sehe doch auch aus wie ein Klapperstorch mit meinen dünnen Beinchen, dass ich Angst ha be, sie brechen mir durch , wenn ich mich nicht vorsehe . Es waren Juden in Lagern, sagten sie, in allen Ländern, wo das Reich war, Männer und Frauen und auch kleine Kinder, und sie t rugen Häftlingskleidung und d en Stern, den sie tragen mussten unter der NS. Heinrich, sie haben alle umgebracht, sagen sie – umgebracht und verbrannt! Ich kann noch jetzt nicht einschlafen, wenn ich an die Bilder denke. Minna hat nicht geglaubt, was sie gesehen hat. Sie ist ja immer eine so Kritische gewesen, und jetzt ist sie noch mehr so wie früher, ständig am Nörgeln und unzufrieden. Den Frauen von den Juden sollen sie ihre Haare abgeschnitten haben, bevor sie sie umbrachten, und daraus machten sie Wolle und Kissen.
    Sie haben hier in der Esshalle in Friedland auch ein Radio, nicht wie das alte, klobige von Lobgott, sondern ein neues aus lackiertem Holz, mit dem man bis nach Afrika horchen kann. Sie sagten, es gibt eine Art neue Bombe – anders als alles, was die Welt bis jetzt kannte. In Fernost sollen sie den Japaner damit geschlagen haben. Ich kann es mir nicht vorstellen. Was könnte noch verheerender sein als das, was Berlin und Hamburg und Dresden vernichtet hat? Aber es wird oft davon gesprochen, von dieser Atom-Waffe (so heißt es in den Nachrichten), und die Menschen glauben daran & nehmen es ernst. Es wird etwas daran sein, sonst würden sie es nicht melden, meine ich.
    Nun ist es wieder Winterszeit, und es geht auf Weihnach ten, Heinrich, wenige Tage sind e s nur noch bis dahin. Ich vermisse die Heimat so sehr! Unser Leipzig und die Hügel u nd das Vieh, den Geruch und d en Wind, der im Sommer die reifen Kornähren

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