Braeutigame
e, dass es um Deutschland so stünde ums Verrecken? Sie hängten beide auf , den Jungen und Freier daneben, am selben, dicken Ast. Freier wehrte sich, aber sie schlugen ihm mit einem Gewehrkolben über den Kopf, er wurde bewusstlos und stürzte , und als e r zu sich kam, fü r eine einzige, letzte Sekunde , hing er schon zwischen Himmel und Erde, und seine Stiefel fanden keinen Halt, es knirschte in seinem Kopf. Der Junge trug wie vorgeschrieben ein Pappschild um den Hals, Freier nicht.
Jakob blieb im Krieg. Er lag z wischen Cottbus und Guben im Boden , zwischen Spree und Neiße, ordnungsgemäß unter drei Fuß Erde begraben. Er hatte seine Papiere in der Brusttasche dab ei , als er starb. Ein Kreuz markierte die Stelle der Beerdigung. Niemand wusste, woran er gestorben war, aber er war gefallen, in Pflichterfüllung für das Vaterland , offiziell, mit einem in Guben ausgestellten Totenschein. Mit d er Hand, die i hm geblieben war – es musste die linke gewesen sein, denn die Schrift war fast unleserlich –, hatte er an die Evangelische Kirche in Calw geschrieben mit der Bitte, den Brief irgendwie an die Bessarabiendeutschen aus Leipzig/Bessarabeska, Krs. Anschakrak , weiterzuleiten. Eine Kopie des Briefes steckte, mit einer Büroklammer befestigt, an seiner Karteikarte. Es stünde nicht gut um ihn , schrieb Jakob, Gott befohlen.
Arthur blieb im Krieg , es war Typhus , doch die einzige, die da s wusste, war Irma Schilling, die ihn dreizehn Jahre zuvor an den Füßen auf die Welt gezogen hatte, und Frau Schilling blieb ebenfalls im Krieg, zusammen mit ihrer letzten Freundin Hildchen Glück, die aus Schlesien und bei allem Tun immer froh war. Auch Frau Schillings Sohn Gustav, wirr im Kopf, und Hilli Turm, taub und stumm, blieben im Krieg – zu einer Zeit, als sie es noch nicht Krieg nannten, sondern Vertrag.
Ilse Kraft blieb im Krieg, erfroren im Winter vierundvierzig, keine zweieinhalb Jahre alt, a ls hätte sie es eilig gehabt.
Die Eltern Kraft, Gottfried und Pauline geborene Sackmann, blieben im Krieg. Sie verbrannten auf der Fluch t in einer Kirche am Ostu fer der Oder, wo sie entkräftet Unterschlupf gefunden hatten, nach einem mehrere Tage dauernden Fußmarsch durch überfrorenen Schnee. Justine, Heinrichs Schwester, sollte am Leben geblieben sein, in Süddeutschland, wo sie an geblich einen Mann fand, den Namen wechselt e und ein Kind bekam . Das Hilfswerk Rüb hatte keine Anschrift.
Der alte Giese blieb im Krieg. Er setzte sich in den ersten Stunden der Flucht an den Wegrand im Wartheland. Um kurz auszuruhen, sagte er, um das Rasseln in der Brust abzustellen, er käme gleich nach, doch er kam nie. Au ch sein Sohn Emil, der letzte P rimar von Leipzig, blieb im K rieg. Bevor er starb, zogen russische Soldaten ihm die Hosen herunter und schnitten ihm die Genitalien ab. So ließen sie ihn liegen , und Flüchtlinge zogen an ihm vorbei, Frauen, Kinder, Alte . Keiner sagte ein Wort, und alle starrten auf die Erde vor sic h. Was aus Walburga und den Töchtern wurde , wusste niemand.
Von Heinrich Kraft, Georg Freier, Hellmuth Lobgott und Christian Prudöhl fehlte, als der Krieg zuende war, jede Spu r. So Gott es wollte, waren sie am Leben , sagten die Schwestern Freier und beteten.
Sie hatten keinen Hof mehr, weder den guten in Leipzig noch den schlechten in Liebfelde im Warthegau, kein Vieh, kein Geflügel, nicht einmal einen Hund.
Minna Freier lebte. Sie fing das Rauchen an mit Zigaretten, die ihr Soldaten für einen heimlichen Kuss gaben .
Lilli lebte, beschwerte sich nie, nähte aus Fetzen Kleider und kämmte an jedem Abend lange ihr blondes Haar, in Gedanken.
Alma lebte, hatte vernarbte Hände und ein wundes, unvernarbtes Herz.
Hurra.
Lgr. Friedland, 16. Dezember 1945
Mein Heinrich,
nun will ich Dir einmal lange schreiben. Es ist viel geschehen, in der Welt und auch bei uns. Wenn ich berichte, so wird vieles durcheinander sein, fürchte ich. Es ist aber doch auch vieles noch durcheinander in meinen Gedanken, trotz des Fr iedens, der ausgebrochen ist. Ich bitte Dich, sei nachsichtig mit Deinem Frauchen. Man muss sich an all die Veränderungen gewöhnen.
Nun ist der Krieg endlich, endlich aus, ein halbes Jahr schon, auch wenn im Reich noch immer fast alles in Trümmern liegt. Nur die Straßen sind geräumt, und die Brunnen in den Städten sprudeln wieder, damit die Menschen wenigstens Wasser zum Kochen haben .
Es heißt, unsere Besatzer kontrollieren noch immer die Post. Aber natürlich
Weitere Kostenlose Bücher