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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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den Jahren, die hinter mir liegen. Es schmerzt, vor allem morgens, dass mir die Tränen über die Wangen lau fen. Ich bleibe dann länger liegen, im Dunkeln mit mir, und überlege , was die Zukunft bringen soll. Mir fällt wenig ein. Meine Sachen sind alle aus der Mode. Noch schlimmer ist es bei Minna und Rosina. Aber Minna ist jenseits aller Ratschläge, Rosina eine einfache Frau; und wie sollte ich kritisieren, wo ich doch selbst ein hoffnungsloser Fa ll geworden bin hier an der See? Am liebsten ist mir die alte Strickjacke von Konrad mit den Löchern an den Ellenbogen, die Rosina immer wieder gestopft hat.
    Ich denke kaum noch an Konrad, obwohl er manchmal schle cht zu mir war. Aber es ist schließlich keine Kunst, die guten Tage einer Ehe auszuhal ten. Die schlechten Tage entscheiden . Die schlechten Tage – darauf kommt es an, die muss man ertragen. Da zeigt sich der Charakter.
    Und wenn ich ehrlich bin, Heinrich: Ich denke auch nicht jeden Tag an Dich. Es ist eine lange Zeit – aber natürlich nicht vergessen! Du bist mir lieb, immer noch, nach all der Zeit. Der Liebste in  diesem Leben . Wir wären nun schon so lange miteinander verheiratet, wenn wir uns nicht unterwegs verloren hätten. Wie die Zeit vergeht, wie die Jahre verrinnen. Nur die Erinnerungen vergehen nicht, und der Schmerz bleibt auch, irgendwo tief innen schläft er, bis er wieder aufwacht. Meine Kindheit – diese Welt, die ich bewohnt habe mit allen anderen, die mir nun so schön vorkommt, wie ein Paradies. Ja, die Sehnsucht ist die Aussteuer der Einsamen. Man ist nie ganz glücklich, alleine nicht, aber auch nicht mit einem Mann. Ich bin manchmal wo anders mit meinen Gedanken. Doch wenn ich irgendwann gehen werde , freue ich mich vor allem auf Dich.
    Die Vergangenheit kommt wieder hoch, wenn ich nachts im Bett liege und dem Meer zuhöre – Erinnerungen, in St ein gemeißelt, nicht mehr zu ändern. Das ist das Schreckliche am Alter: dass alles feststeht, unberührt von der jüngeren Zeit. Nicht mehr rückgängig zu machen.
    In der Nacht und am Morge n bin ich in Gedanken oft in den guten Jahren vor dem Krieg. Lange habe ich mich nicht damit beschäftigt. Aber es kommt von alleine hoch, ich suche nicht danach, und es lässt mich wach liegen. Die Mutter, gestorben bei Arthurs Geburt: Ich erinnere wenig von ihr, nur ihr langes, weiches Haar, das Minna und ich stundenlang kämmt en – und diesen schrecklichen Schrei am Ende. Alles verblasst . Manchmal grübel e ich, wenn ich mich erinnere, an den Krieg und an all das Elend denke. Oder wenn im Programm ein Film kommt mit Sirenen und Soldaten. Ich kann so etwas nicht sehen, es tut mir nicht gut. Weißt du noch, wie sie in der Heimat immer über die ersten Siedler in Bessarabien redeten ? „Die ersten fanden den Tod, die zweiten die Not, die letzten das Brot.“ Bei mir ist es genau andersherum.
    – Wir werden hier noch alle zu Museum sstücken, mit Patina und allem Drum und D ran.
    Rosina ist sparsam und bewahrt die alt en , gebrauchten Marmelade- und Honiggläser im Regal auf. Um sie beim nächsten Einkochen wieder zu benutzen, sagt sie. Es ist albern. Wozu soll man all das behalten, die alten Dinge? Wir müssen uns lösen, vergessen, und wenn wir vergessen haben , wird sich kein anderer mehr daran erinnern. Die Kinder nicht. Die Russen auch nicht. Ja, vergessen: Das ist die beste Art, Dinge geheim zu halten. Die Wahrheit hat keinem Menschen jemals genützt. Uns geht es viel besser, wenn wir uns von morgens bis abends anlügen – und warum auch nicht? So lautet das erste Gebot der Nächstenliebe: Seid gut zueinander, indem ihr euch anlügt.
    Ja, die Mitte des Lebens war recht groß, vorbei, vorbei. Es ist nicht mehr zu ändern. Wir werden nicht jünger, niemand von uns.
     
    Ich gehe jeden Tag an der Ostsee spazieren, egal wie das Wetter ist. Wenn der Wind eisig vom Meer kommt, muss ich mich zwingen & ich ziehe mich warm an, den feinen Pelzmantel. Es wohnen viele neue Leute hier & Rosina sagt, sie reden über uns wg. des Singens und der Aufnahmen . Sie hat erzählt, manche nennen mich die Gräfin , ein völliger Blödsinn, kannst Du es Dir vorstellen? Irgendwann werden sie nur noch die Verrückte sagen. Ich hoffe, es ist noch etwas hin. Ein paar Jahre.
    Minna lässt sich gehen. Sie sitzt nur und wird dick er , obenrum hatte sie ja schon immer viel gehabt. Wie ein Hefekloß sieht sie aus, wenn sie sich nicht zurechtmacht. Wie mehrere Hefeklöße.
     
    Ich wünschte, ich könnte eines Tages

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