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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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still au s dem Leben scheiden. Sanglos, k langlos. Ohne dass es einer merken würde. Ich löse mich einfach auf, werde leichter und leichter, bis ich nur noch ein Nichts bin und fortgetragen werde wie eine Feder von einem Windstoß. Dies es Leben ist so unendlich lang, zu lang dies Da-Sein. Das Leben ist ein Leiden – und man hat noch nicht einmal die Wahl, kann es sich nicht aussuchen, Gott fragt uns Sterbliche nicht um unsere Meinung . Das Leben muss gelebt sein! Ach, je näher man dem Tag kommt, an dem man geht, umso deutlicher erkennt man, dass man alle Jahre seines Lebens vergeudet hat, fast jede Stunde. – Aber dann: Wie hätte ich es anders machen können? Unser Gott ist ein weiser Gott. Er wird richten, un d er ist auch ein gütiger Gott.
    Ab und zu, wenn die Sonne scheint, kommt noch immer einer von der Presse und macht oben, vom Steilufer aus, Fotos von unserem Haus. Ich weiß nicht, wo sie es veröffentlichen.
    Einm al haben sie ein Foto von einer Ausstellung gedruckt , die ich mit Rosina besucht hatte. Die Lampe, eine große Persönlichkeit, schrieben sie. Ich eine große Persönlichkeit ? Das junge, naive Ding aus Leipzig? Was für eine verrückt gewordene Welt, in der ich gelandet bin. Die größte Persönlichkeit ist die, die am elegantesten durchs Leben kriecht.
    Vorhin habe ich mich gefragt, ob ich eigentlich glücklich bin. Ich kann es nicht sagen. Es geht mir gut, sicher. Das Haus, die Kinder, es ist alles da, fehlt nichts, nur Theo kommt zu selten mit seiner neuen Freundin. Aber glücklich? Vielleicht sollte man im Alter nicht mehr hoffen, Glück z u fühlen. Zufriedenheit – die sollte einem genug sein, meine ich. Ich bin also zufrieden . Glück empfinde ich nicht ( aber auch kein Unglück ) . Ist das nich t die Essenz des Lebens : Verlust? Man ver liert Menschen – Eltern, Geschwister , Geliebte, Freunde –, und man verliert Orte. Am Ende hat man Geld und sitzt einsam auf der kleinen Scholle Erde, die einem bleibt. Das Leben ist ein Glück s spiel, man gewinnt, oder man verliert, und dann kommt der Tod. Schnell, wenn man Glück hat. Langsam, mit Vorankündigung, wenn nicht.
    Was soll eine alternde Frau anderes tun, als sich in Ruhe auf das Sterben vorzubereiten? Das ist das einzige, was bleibt: Vorbereitung, um dann nicht allzu überrascht zu sein.

Teil V

Kapitel 24 : T2
     
    „Es ist das, was wir T2 nennen, Frau Lampe“, sagt Hajo Thews.
    Er hat wirklich einen lästigen Tick, denkt Alma – ständig dieses Zwinkern und zwanghafte Klimpern mit seinem Auge, dem rechten, irritierende Sache. Kann man offenbar nichts dagegen tun, sonst würde er e s behandeln lassen, er ist ja Arzt und kennt sich aus mit Körpern und ihren Krankheiten. Was wohl seine Frau macht, wenn er sie Tag für Tag beim Essen anblinzelt, so zuckend, morgens, mittags, abends…!? Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich jeden Tag
    „Frau Lampe?“
    „Ah, ja…, ja, Dr. Thews. T2, haben Sie gesagt. T2. Entschuldigen Sie , ich war für einen Moment in Gedanken. Was bedeutet das?“
    Der Arzt seufzt. „Inoperabel. Wir können das Gewebe nicht wegschneiden. Also das Wachstum. D en Tumor.“
    Alma stellt sich das Wegschneiden vor und schließt die Augen halb. Wegschneiden heißt abschneiden, denkt sie. Sie konzentriert sich auf ihren Rücken. Gerade sitzen, denkt sie. Atmen.
    „Ist das… gut oder schlecht?“, fragt sie schließlich. „Wenn man es nicht wegschneidet?“ Sie spürt, wie die Angst wieder über sie kommt.
    Dr. Thews sieht sie über den Rand seiner Lesebrille an. Er steht auf, sieht aus dem Fenster im ersten Stock. Sie hört einen Bus vorbeifahren, unten auf der Caffamach erreihe, es muss der 117er nach Planten un Blomen und Eppendorf sein .
    „Ich fürchte schlecht. Das bedeutet, dass der Tumor – der Primärtumor also, der Haupttumor – recht groß ist. Sehr groß, zu groß – wie immer man e s ausdrücken will.“
    Alma denkt an die Mammografie vor drei Wochen. Es wäre wahrscheinlich nichts Schlimmes, sagte er, aber etwas, das sie sich sicherheitshalber in Eppendorf ansehen soll ten, wo sie die besten Geräte hä tten. Die Maschinen waren so gut, dass sie mehrere Tumore auf einmal fanden. In den Eierstöcken wuchs etwas, das nicht dort hingehörte, in der Leber und in den Knochen hatte sie Met astasen und vielleicht noch an anderen Stellen. Sie hatten dann aufgehört zu suchen, und Thews sagte nicht mehr, dass es wahrscheinlich nichts Schlimmes war.
    „Das ist aber nicht das Entscheidende“, sagt

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