Braeutigame
berät mich – er würde dieses oder jenes tun. Aber am Ende muss ich entscheiden, was mit einem Schiff oder einer Fracht passiert. Es ist meine Unterschrift, die zählt.
(Eine kleine Sache: Bei Konrads alter Sekretärin, einer Frau Mahler, aber unverheiratet, habe ich in Auftrag gegeben, dass jeder Mitarbeiter zum Geburtstag ein Geschenk bekommt. Nichts Großes, eine Aufmerksamkeit nur – für die Frauen Blumen, für die Herren Schnapspralinen oder eine andere Kleinigkeit. Frau Mahler fand es zuerst unangemessen und schaute mich kritisch an. Konrad hat es nie so gemacht. Aber ich habe schon jetzt zwei liebe Karten, mit denen sich die Leute bedanken. Es war richtig, das zu tun, und es kostet so wenig Geld, in der größeren Ordnung der Dinge.)
Eben klingelte das Telefon hier im Haus, in Konrads altem Büro, wo ich oft am Schreibtisch sitze und die Korrespondenz aus dem Kontor lese. Ein Mann meldete sich, ein Herr Schröder, und fragte, ob er „mit Frau Alma Lampe persönlich“ spreche. Er war von der Commerzbank, und er sagte, sie würden unseren Kontokorrent von sich aus ausweiten, um fünf Millionen Mark . Es ist eine Art Darlehen auf Vorrat, das man nur benutzt, wenn man es wirklich brauchen sollte. Mir wurde schwindelig. Ich sagte aber nichts – nur, dass ich ihn in der kommenden Woche noch einmal anrufe. Ich denke, es schadet nicht, so einen Kontokorrent zu haben? Das Geld ist ja nicht ausgegeben, nicht weg, solange man es nicht benutzt?
War es ein Fehler – nicht mehr zu singen? Sie sagen, ich wäre selbstverlie bt & eitel. Es tut mir weh & ist ungerecht. Aber ich habe Zweifel und denke seit einer Woche – seit dem letzten Konzert hier in der Musikhalle – an nichts anderes.
Was war das für eine Aufregung!? Ein Satz nur . – „Meine Damen und Herren, dies war mein letzter Gesang.“ Ich musste ihn von einem Zettelchen ablesen, so aufgeregt war ich. Das Singen auf der Bühne macht mir nichts, dabei muss ich mir keine Worte ausdenken, sie sind ja schon da & vorgegeben . Aber das Sprechen… Es fällt mir schrecklich schwer, nach all der Zeit noch.
O bwohl sie vorher kräftig & lange applaudiert hatten, war es dann auf einmal still. Mucksmäuschenstill. Da war kein einziger Ton in der Halle. Man spricht ja von Totenstille, so war es. Ich stand vorne, alleine, und niema nd wusste, wie es weitergehen würde . Es stand auch niemand auf. Alle s ahen nur zu mir und warteten, was geschehen würde.
D as soll also mein letzter Gesang gewesen sein, jedenfalls vor Menschen, vor einem richtigen Publikum . Es ist nun eine lange, lange Zeit gut gegangen & ich bin über fünfzig. Man muss gehen, wenn es am Schönsten ist, ohne falsche Scheu und ohne zurückzublicken. Es ist so, wie der Führer in den Karwendel-Bergen sagte, der mit Konrad und mir auf die Hohe Warte gekraxelt ist: Der Gipfel ist der Höhepunkt, aber noch lange nicht das Ende. Das Härteste hat man dann noch vor sich: den Abstieg. Auf dem Weg ins Tal ist die Gefahr, einen Unfall zu haben , am größten, sagte er .
Vielleicht sollte ich unterrichten, wie einst die liebe Regina? (Und, wie ist es nur möglich, unser alter Küsterlehrer Hel l muth Lobgott!? Dieser schreckliche und zugleich wohlmeinende Mann. Wie sich die Welt im Kreise dreht, immer und immer wieder herum. Dass ausge rechnet ich… Er würde schnauben vor Heiterkeit und Empörung zugleich, wenn er es sehen könnte. Ruhe er in Frieden.)
– Noch einige Aufnahmen? Sie drängen alle, mehr denn je. Aber es geht doch immer nur um Geld, fürchte ich. Das ist das einzige, an dem es mir nicht fehlt.
„Dies war nun mein letzter Gesang.“ – Ach, ich blöde Gans.
Lieber Heinrich,
es gibt kein Zurück. Ich bin mit Minna und Rosina ins Graue Haus gefahren, mit Sack und Pack. Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben. Oder anders: Ich weiß nicht, ob wir nach H amburg-Altona zurückgehen – und wenn ja, wann. Es ist ein richtiger Umzug. Es gefällt mir in diesem kleinen Haus aus Holz so viel besser als in der Stadt , auch in der kalten Jahreszeit . Ich glaube, Rosina geht es nicht anders, und Minna ist es egal. Willi Krause brachte uns hierher, wie immer. Er wird mindestens einmal in der Woche zu uns kommen und die Handwerkerdinge und Besorgungen übernehmen. In Hamburg bleibt er mit seiner Frau i n den beiden Zimmern, damit einer aufpass t und das große Haus nicht verfällt.
Auf der Autobahn sagte er: „Ein Umzug ist wie das Leben umrühren.“ Das schien mir weise zu sein.
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