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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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wollen Sie?“
    „Gi e ss?“
    „Zum Giese? Zum Starosta? Verstehen Sie russisch?“
    Der Mann nickte.
    „Das Haus da vorne . Wo die Podwoda steht.“
    Lobgott wollte die Haustür schließen.
    „Chljieb“, sagte der Mann und sah ihm in die Augen.
    „Herrgott noch einmal, jetzt kommen sie schon an die Türen zum Betteln. Gehen Sie zum Starost rüber, der kann Ihnen vielleicht helfen. A ber große Hoffnungen mache ich Ihnen nicht , ehrlich gesagt . Es ist Sonnabend, guter Mann, die Arbeit ist getan. Und wir sind anständige Leute hier. Das Brot können wir auch nicht auf den Tisch zaubern, was glauben denn Sie? Geh e n Sie arbeiten, dann haben Sie auch zu essen. Ohne Arbeit gibt es kein Brot, hier nicht, nirgends auf der Welt.“
    „Cholod “, sagte der Mann und hielt Lobgott seine geöffneten Hände entgegen. Die Finger und Nägel waren schwarz. An der rechten Hand klaffte zwischen Daumen und Zeigefinger eine schmutzige, verschorfte Wunde, auf der Blut zu dicken Klumpen geronnen war.
    Der Mann trug einen verfilzten Bart und hatte tief liegende, riesige Augen, deren Ränder dunkelbraun waren, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Unmöglich zu sagen, wie alt der war, dachte Lobgott, mindestens wi e fünfzig sah er aus. Und was war das für ein besudelter, nasser Umhang, den er trug, der aussah wie Bisam, wie Rattenpelz? Gott, nein, die Not war eine Pein . Konnte man wieder sehen: Armut war keine Schande, aber eine große Schweinerei. Wie das stank.
    „Cholod “, sagte der Mann leise. „Paschalsta?“
    Lobgott drehte sich um. In der Küchentür stand Hilli Turm. Der Küsterlehrer winkte sie weg , aber sie kam neugierig nach vorne, anstatt zu verschwinden und ihre Hausarbeit zu machen.
    „Was machen Sie da?“, sagte Lobgott. „Weggehen soll sie, F räulein Turm. Auf – in die Küche . Sie können hier nichts helfen.“ Er wedelte mit den Händen.
    Hilli sah erst ihn an, dann den Mann im Windfang, dann sah sie an der Pforte zum Vorgarten die Frau. Sie beugte sich über den Steinpfeiler links neben de m Tor, hielt etwas vor dem Leib und sah aus, als würde sie im nächsten Moment vornüber ins Blumenbeet kippen, in dem die ersten Tulpen aus dem Boden ragt en.
    Hilli ging an dem Mann vorbei nach draußen.
    „Fräulein Turm!“, rief Lobgott.
    Hinter dem Pfeiler fand Hilli das Kind. Es war ein Junge, so dünn am Körper und verstört im Kopf, dass sie sein Alter nicht schätzen konnte. Er hatte einen Sisalstrick am Handgelenk, der zur Frau führte. Die Mutter wohl, dachte Hilli; der Knabe sollte ihr nicht verloren gehen. Das Kind saß reglos da, den Rücken gegen den Pfeiler gelehnt, d ie Augen geschlossen, eine M ütze mit Lammbesatz auf dem Kopf, einen schmutzigen, roten Schal über Mund und Nase , obwohl es schon März war und keinen Frost mehr gab.
    „Paschalsta“, sagte die Frau und sah sie an. Ihre Augen waren graue Höhlen. Ihre trockenen, eingerissenen Lippen bewegten sich kaum, als sie sprach. Sie legte vor dem Bündel an ihrer Brust die Handflächen aufeinander.
    „Wir haben nichts“, rief Lobgott. „Wir haben selbst nichts. Gehen Sie weiter .“
    Hilli sah den Kopf in der Placht, die die Frau vor ihrer Brust trug. Eine Nase. Ein Mund, blaue L ippen. Noch ein Kind, winzig , ein Neugeborenes.
    Sie richtete die Frau auf und legte ihr einen Arm um die Schulter, um sie zu beruhigen. Dann kniete sie sich neben dem Jungen hin, löste den Strick von seinem Handgelenk. Er starrte sie an, erst teilnahmslos, dann scheu, als wäre sie ein Gespenst. Hilli setzt e die beiden, Mutter und Sohn, sanft mit Armen und Händen in Bewegung und führte sie ums Haus herum in den Hinterhof. Der Mann drehte sich vor dem Windfang um und trottete ihnen langsam nach.
    „Fräulein Turm!“, rief Lobgott empört, „was machen Sie da!? – ach Mensch, die hört wieder nichts, das freche Weib will ja auch gar nicht hören… wo geht sie denn nun hin mit den Leuten… diesen, diesen ... Leuten da…? Die haben hier doch nichts verloren bei uns… Wir haben keinen Platz. Wo einer von denen ist, ist schne ll ein ganzes Nest. Nichts werde ich geben, kann man doch nicht einfach an der Türe von fremden Menschen klopfen und erwarten, dass die Pforten des Paradieses sich öffnen und es Almosen gäbe. Wo sind wir denn? Wo kommen die überhaupt her? Arbeiten sollen sie , dann kommt auch Essen auf den Tisch. Denen ist doch gar nicht zu helfen… Krankheiten wird sie ins Haus holen, wenn sie das Russenpack anfasst, Pest und

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