Braeutigame
indem er sein en Königinnen im Winter Zucker wasser statt Honig gab – das wäre so gut und wichtig wie die Nutzung des Wasserdampfes in Maschinen, erklärte Lobgott, der Einfall eines wahren Genies. Aber der Küsterlehrer, der seine Bücher hütete und im Schulunterricht keine Eselsohren oder Flecken in den Fibeln und Bibeln der Kinder duldete, war nicht auf Georgs Bitte eingegangen. „Rhabarber reinigt den Darm“, hatte er geantwortet und erwartungsvoll in die Tischrunde geblickt.
Doch was, fragte er, wäre Natur ohne Kultur ? Ohne la musica? Nichts na türlich. 1930 hatte er in Kischinjew ein Radio mit Handaufzug gekauft, das erste im Dorf, und verbrachte nun viele Abende vor dem Gerät. Es stand auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer, neben der Tür zur Diele. Alma hätte es gerne angestellt und einen Sender gesucht, der Musik spielte, um sich die Zeit zu vertreiben, aber sie traute sich nicht, es war ein teure s Gerät.
Da – die Haustür ging, sie hörte Schritte. Lobgott kam .
„Meine liebe Alma“, rief er pompös, als er bes chwingt ins Musikzimmer trat und aus der Diele frische Luft mitbrachte. Er zeigte seine Zähne, die Tabak und Tee im Laufe der Jahrzehnte gelb wie ranzige Butter gefärbt hatten. „Sehr schön, ja, da ist sie. Pünktlichkeit ist eine Zier, die Höflichkeit der Könige.“ Er hielt einen Stapel Notenbücher in der Ha nd, die er auf das Klavier fallen ließ , zog ein verklebtes Taschentuch aus seiner Hose und putzte damit erst die winzigen, runden Gläser einer Nickelbrille und dann seine Nase.
„Fleißig geübt in der Woche, Kind?“, fragte er und begutachtete nachdenklich den Inhalt seines Schnupftuchs.
„ Einmal zuhause und zweimal bei Lea Dressner an ihrem neuen Harmonium.“
„Oho , ein neues Instrument in unserem Ort “ – er sagte Inschtrument – „gut, gu t, das ist g u t, das macht die Sache doch viel einfacher. Üben muss man nämlich, Alma, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und auch keine Meisterin a-ha-ha . Wir wissen ja beide um dein Problem. Mit der Musikalität.“
„Ja, Herr Lobgott.“
„Es ist...“
Er setzte sich ans Klavier und spielte eine G-Dur-Kadenz.
„ Es ist – egal. Also: Großer Gott!“
Alma sang los; sie kannte das. Bevor sie mit Ate mübungen und Tonleitern begannen , hatte sie einmal das Großer-Gott-wir-loben-dich vor zu tragen, damit alles seine Ordnung hatte. Es war ein Trost, dass Lobgott nicht auf allen elf Strophen bestand wie Pastor Pomreinke in der Stunde. Meist sang sie die erste – Großer Gott Ewigkeit –, die zweite – Cherubim Seraphim – und die letzte – Herr erbarm verloren.
„So“, sagte der Küsterlehrer , „das hätten wir erledigt . N un wollen wir uns einmal ordentlich hinstellen, Almachen… ja, so ist es gut… den Rücken gerade, durchdrücken … Nicht die Schultern hängen lassen! Kopf hoch, das Kinn noch etwas höher, geradeaus, jawohl... und stell dich so, dass ich dich ansehen kann, dein Gesicht ansehen… gut, ja… Die Hände hängen lassen, locker… Und nun atmen wir bitte.“
Alma holte mehrmals Luft, spürte, wie ihr Zwerchfell arbeitete, ihre Brust sich hob und langsam wieder senkte. Sie wurde ruhig, sah auf Lobgotts Radio.
„Und nun das Kinn… hän-gen las-sen…“, sagte Lobgott. „Locker, Kindchen, ganz locker, als hättst ein Bällchen im Mund… Nein, nicht die Backen aufblasen! Das Kinn locker machen sollst du ...“
Lobgott sch üttelte den Kopf. Er schlug ein Schott-Notenbuch auf, Bachs Weihnachts-Oratorium.
„Was hatten wir letzte Stunde geübt?“
„Nun seid ihr wohl gerochen.“
„Richtig. Den herrlichen Choral, auch wenn das nächste Fest noch eine Weile hin ist . Nun, früh übt sich, was ein Meister werden will, habe ich Recht? Nummer vierundsechzig, w enn ich nicht irre? Dann schlag e s einmal auf, Seite… hunde rtzweiundzwanzig. Hast du? D-Dur, Kind…“ Er begann, die Einleitung zu spielen und an das Mittagsmahl zu denken, das er am morgigen Sonntag bei den Freiers nach dem Kirchendienst…
„Was machst du , Alma!?“, rief er, „nicht so viel Volumen – wir sind doch hier nicht im Zirkus! Nein, nicht aufhören, weiter singen, weiter, weiter…“
Er schloss die Augen, während seine Finger, ohne dass er sich konzentrieren musste, über die Klaviertaste n glitten und spielten. Zwar waren Marga Freier s Kochkünste für alle Zeit verloren, die Mädchen und die alte Jeschke mussten ran, aber eine warme Mahlzeit a n der Kälber Drift war
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