Braeutigame
Cholera, und die Flöhe kriegen wir nie wieder aus den Betten, sollen die sich doch die Köpfe e inschlagen mit ihren Bolschewik en, was geht uns das an!? Hilli! Hört sie denn nicht!? So geht es nicht! Hilli!!! “
Der Mann hieß Fedir Kutscherjawi, seine Frau Wita . Sechs Kinder hätten sie, sagten sie, hätten sie noch zu Neujahr gehabt, aber sie hätten nur zwei dabei, ach, Mütterchen, nur zwei. Sie sagten es ohne Regung in der Stimme. Eigentlich war es nur eines, denn das Kind, das die Frau an ihre Brust presste, musste schon einige Tage tot sein, flüsterte Irma Schilling.
Ukrainer wären sie, sagten sie, Bauern aus der Gegend um Bereschiwka, und sie hätten seit fünf Tagen nichts mehr gegessen und davor geröstete Pferdeknochen und die Flechten an den Bäumen und davor, an dem Tag, an dem sie geflohen wären, den abgemagerten, räudigen Hund, der halbtot in ihrer Küche auf der Seite gelegen hätte, zu schwach zum Aufstehen. Mit dem Messer gehäutet und aufge schnitten hätten sie ihn und ihn gekocht und die Knochen abgenagt, und das Fleisch wäre sauer und hart gewesen. Es gäbe nichts mehr bei ihnen. Nich ts. Die Russen hätten es alles genommen und auf Wagen geladen und weggeschafft. Die Kinder fräßen sie in der Heimat, sagte die Frau.
Lobgott verdrehte im Hof die Augen. Keiner frisst seine eigenen Kinder, dachte er, auch nicht der Moldowaner und der Ukrainer. Hilli hatte einen Eimer mit heißem Wasser geholt und wischte dem Jungen mit einem Tuch durchs Gesicht, bevor sie ihn in die Küche nahm und ihm Milch gab, die er mit zitternden Händen aus dem Glas trank.
Fedir Kutscherjawi sagte, er wäre neunundzwanzig. Zum Starosta hätte man sie geschickt, als sie unten am Kogälnik getrunken hätten. Aber dann hätten sie Mus ik gehört neben der Kirche, Singen. Man könnte doch nicht schlecht sein, wo man Musik spielte und sänge. Da hätte er an die Tür geklopft, und ein Mädchen mit Zöpfen hätte ihm aufgemacht , ein schönes Mädchen, aber sie schrie, als sie ihn sah.
Alma kam zu spät nach Hause. Sie ging sofort in die Küche, um beim Zubereiten des Abendbrots zu helfen, fand aber ihre Familie schon am Tisch versammelt, beim Essen. Sie setzte sich dazu. D aniel Freier hörte aufmerksam zu, als sie von den Ukrainern erzählte, und aß Nudeln mit Butter, Zimt und Zucker.
Sie hätten Emil Giese in der Primaria aus der Badewanne geholt, berichtete Alma, klitschnass wäre er gewesen, und dann wären sie zusammen ins Küst erhaus zurückgegangen, und Walburga Giese wäre gekommen, mit Wolldecken und alter Wäsche und kalten Ölkuchen, die sie vom Mittag übrig hatten.
„Der Russe hat ihnen die gesamte Ernte genommen“, sagte Boias Dressner, als er am späten Abend mit Freier in der Kü che saß. „Der Kutscherjawi soll e s erzählt haben, drüben beim Giese. Die Ukraine hat kein Essen mehr – alles haben sie den Bauern gestohlen. Den Weizen… – den Hafer für die Tiere, die Butter, die Nüsse, alles… Die Saat sollen sie ihnen sogar genommen haben, Freier, stell dir vor...“
Daniel Freier sah ihn an. „Das g laube ich nicht. Ohne Saat geht e s nicht. Wovon sollen sie im neuen Jahr leben? Sie brauchen doch ihr Auskommen, ihre Ernte, und die Tiere brauchen ihr Futter...“
„Die Tiere sind nicht mehr. Sie haben alles geschlachtet, was sie hatten. Sogar ihre Pferde. Du, und Kutscherjawi mit seiner Frau – die Kinder sollen sie im Winter bei denen im Dorf gegessen haben.“
„Nu aber, Dressner. Du mit deinen Gruselgeschichten, und die Kinder sind noch nicht i m Bett und können alles hören. Du weißt doch, wie e s ist, wenn die noch klein sind. Die glauben alle Märchen.“
Dressner flüsterte. „In die Städte gebracht haben sie sie… die Kinder. Die Eltern ihre Kinder – und dann haben sie sie ausgesetzt, einfach mitten in der Stadt ausgesetzt, auf einem Platz oder in der Kirche oder wo, weil sie sich nicht mehr kümmern konnten. Da hofften sie, dass sich irgendeiner mit ihnen abgeben würde, ein Waisenhaus oder was, oder dass sie sich durchbettel n. Kutscherjawi und seine Frau hatten sechs, und zwei haben sie erst im Januar in die Stadt gebracht – haben gehofft, dass sich irgendwer ihrer annehmen würde in der Kälte. Sieben und acht Jahre sollen sie gewesen sein. Ein Junge und ein Mädchen. Die haben sie bis heute nicht wiedergesehen, und zwei weitere sind gestorben am Hunger und das Neugeborene auch, und nun haben sie nur noch den einen Jungen. Der hat die Krätze
Weitere Kostenlose Bücher