Braeutigame
bekommen.“
„Mensch, Dressner… – ich kann das nicht glauben.“
„Der Kutscherjawi ist ein ganz Vernünftiger. Mitgenommen natürlich, kaum bei Kräften. Spuckt nur und spricht ganz leise. Aber dass der das einfach erfinden würde…“
„Macht sich vielleicht nur wichtig. Das Betteln machen solche Ungeheuer-Geschichte nicht schwieriger. Und wenn die so von Dorf zu Dorf ziehen…“
„Daniel, das glaube ich nicht.“
„Was sagt denn Giese?“
„Der schiebt e s auf die Bolschewiken. Die Russen wollen, dass sie verrecken in der Ukraine. Die sollen nich t leben.“
„Was will er mit dem – wie hieß der? Kutscherwasi… was will er mit dem und seiner Frau machen? Giese , meine ich. “
„Zurückschicken ka nn er sie schlecht, und selbst wenn er e s wollte, würde es nicht gehen. Die sind halbtot, da geht sich nichts mehr. Kaum auf den Beinen halten können sie sich. Am besten ist e s beim Weib vom Kutscherjawi, die hat noch eine kleine Kraft in sich. Wo sie die hernimmt, weiß keiner, bei dem Elend, aber sonst… Kutscherjawi selbst – der ist keine dreißig, auch wenn er elend aussieht wie ein Greis und kaum noch Zähne im Mund hat –, der ist im Fieber und liegt nur und zittert am ganzen Leib, und sie müssen ihm jedes Wort aus der Nase ziehen und ihm die Suppe zulöffeln. E r kann kaum schlucken, weil ihm der Hals geschwollen ist. Hier bleiben werden sie erst einmal, denk e ich. Essen werden sie. Ein paar Wochen lang. “
„In Jesu Namen. Wenn e s ihnen denn so schlecht geht, dann sollen sie essen. Sie sind auch Gottes Kinder.“
„ Sie haben sie erst einmal i n der Hütte neben der Mühle v on Trautmann einquarti ert – hinter der Lehmkuhle die , die sie früher im Winter für die Schäfer vom Sonnemann hatten. Die hat ein Ofenrohr und soll ordentlich heizen, und der alte Trautmann wohnt nebenan und hat ein Auge auf sie , und seine Frau und Reinhold gleich mit. Wird ihnen wohl auch bisschen was abgeben aus dem Keller. Hat ja genug. Der Junge vom Kutscherjawi ist d ürr und zittert wie Espenlaub, ei nen richtigen Schreck haben die Schilling und die kleine Turm gekriegt, als sie den gewaschen und entlaust haben. Jede einzelne Rippe haben sie zählen können, und an den Armen und Beinen hat er einen schlimmen Ausschlag, da ist die Schillingsche mit zugange, die schmiert ihm das dick mit Salbe ein , von oben bis unten . Der Bursche sitzt von morgens bis abends in der Küche bei Mutter Trautmann und isst alles, was sie ihm vorsetzt, und dann schläft er, un d dann isst er wieder. Der wird es wohl schaffen. Wenn die Kinder wieder essen, ist fast schon alles überstanden, weißt du ja besser als ich mit deinen sechs. Nur bei Kutscherjawi selbst wissen sie noch nicht. Dem ist wohl auch der Kopf durcheinandergeraten.“
Nach dem Abendessen ging Alma zu den Dressners und hörte mit Lea und ihrer Mutter Schallplatten auf dem Grammofon.
„Ein Russe spielt das Nächste “, sagte Elwira, als sie das Gerät mit der Handkurbel aufzog. „Man sagt , er ist der beste Pianist d er Welt. Hambourg heißt er , wie die Stadt. Mark Hambourg. Aber er ist Russe und kein Deutscher, auch wenn der Name nicht danach klingt. Hört mal… Das hier ist eine Mazurka, ein Tanz. Aus Polen. “
Sie saßen zu dritt am Stubentisch, in der Mitte der Kerzenleuchter, Frau Dressner auf dem Sessel neben dem Grammofon, die Mädchen auf der Ottomane. Beim Musikhören tranken sie Tee mit Zucker und aßen Hamantaschen mit Gabeln .
„Schaut hier“, sagte Elwira Dressner und reichte ihnen eine Postkarte mit einem Foto. „Das ist das Opernhaus von Odessa – e in berühmtes Haus, ach, was sage ich… Mehr noch. W eltberühmt ist es.“
Alma betrachtete die Fassade, die hohen Bögen, Säulen, die Stufen , die zu Flügeltüren führte n , zwischen denen Fächerpalmen in Kübeln standen.
„Wie das Haus eines Fürsten sieht es aus“, sagte Alma. „Wie ein Palast. Waren Sie einmal dort?“
Elwira Dressner nickte. „Viele Male. Als ich jung war, mit meinen Eltern. Innen drin, da, wo sie singen und spielen, ist alles mit Gold und rotem Samt ausgekleidet. Ganz kostbar haben sie es gema cht, nur für die Musik. Es glänzt wie einst im Tempel zu Jerusalem.“
Alma sah sie an. „Herr Lobgott hat gesagt, da werde ich nie singen dürfen“, sagte sie.
„Wo? Im Tempel ni cht? Damit hat er wohl recht, würde ich meinen. Was willst du im Tempel? Und schön gesungen wird da nicht. Im Gotteshaus beten sie. Der Rest ist Gebrummel.
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