Braeutigame
war . Den Rest, die unwichtigeren Fächer, unterrichteten die jungen Leute von zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, die die Rumänen aus Anschakrak und Kischinjew schickten. Redliche Menschen wären das, die sich durchaus um die Kinder bemühten, sagte Lobgott, gute Seelen, natürlich, ja doch, deren Schuld es schließlich nicht wäre, dass man auf Anweisung der Großrumänen nicht mehr in der Sprache Heines unterrichten dürfte. ( Nur bei Valea Popesch, der Handarbeitslehrerin aus Kampina, hatte er seine Zweifel: Die wäre dumm wie Brot, die könnte nicht eins und eins zusammenzählen – und woher sollte es kommen, das Mädchen wäre höchstens neunzehn und hätte selbst zwei Kinder!? Häkeln, Strümpfestopfen und Stricken mochte sie wohl anständi g, aber Handarbeit gehörte, befand Lobgott, nicht in die Schule, sondern in die Stube. So ginge es nicht, sagte Lobgott, ganz – gewiss – nicht. )
Alma betrachtete ihr Spiegelbild im Vitrinenglas, steckte ihre Haarspangen neu und glättete die widerspenstigen Strähnen mit Spucke. Sie ging die Buchrücken in den Schränken durch – mehr Seiten , als man in einem Menschenleben lesen konnte. „Ein e gefährliche Sache, das Lesen “, sagt Pomreinke in der Sonntagsschule. „Es ist nicht an und für sich schlecht , das Lesen, nein, das nicht. Wir müssen alle lernen, s o denn. Aber wer zu viel liest – und wer dann auch noch das Falsche liest – und nicht die Bibel, das heilige Buch, und den Katechismus…! – der gerät wohl in Gefahr, sich weg von Gott zu lesen, ja, den holt vielleicht einmal, viell eicht, vielleicht… der Teufel!“
Alma runzelte die Stirn.
Auf dem Tisch am Fenster lagen verbogene Pfeifenreiniger in einem Aschenbecher aus Rauchg las, ein lederner Tabak beutel auf einem Zeitungsstapel und ein aufgeschlagenes Buch, Die Letzten Tagen von Pompeji. Lobgott bezog d ie Odessaer , die Deutsche Zeitung Bessarabiens aus Anschakrak und die braunen Ausgaben der Nord-Dakota-Freie Presse , die er sich mit der Post aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommen ließ. Ehemalige Oberdörfler s chickten sie ihm, die nach Dakota ausgewandert waren und ihre Siedlung – keine zwanz ig Häuser – ebenfalls Leipzig nannt en, in der Hoffnung, es möge einst eine große Stadt werden oder wenigstens ein Städtchen. Alma fragte sich , wie Lobgott die Zeit fand, alle Journale zu lesen, aber er studierte sie schließlich, sagte er, für das ganze Dorf mit , eine nützliche Angewohnheit, für die sie ihm dank barer sein sollten, als sie es wä ren. Wer etwas wisse n wollte über die Zeitläufte – nun, der kö nnte einfach klopfen und fragen, er würde ihm dann schon die Welt erklären. Wenn Lobgott eine Zeitung ausgelesen hatte, verfeuerte er sie nicht im Ofen: Er bewahrte sie in einem alten Kleiderschrank auf, unter dessen Füße er Gläser m it Essig stellte, um die Termiten fernzuhalten, die es auf die Freie Presse abgesehen hatten.
Lobgotts Leidenschaft galt den Geschöpfen, vor allem den Rosenstöcken, Seidenraupen und Bienen. Am Ende seines Hinterhofs standen neben dem Nuschnik vier Bienenkörbe auf der Grundstücksmauer, und in den Hügeln im Norden des Dorfes hatte er zwanzig weitere, selbst gezimmerte Holzkisten mit waagerechten, fingerbreiten Schlitzen , durch die die Tiere ein und aus flogen, aufgestellt . Lobgott hatte die Stöcke in verschiedenen Farben bemalt und inspizierte seine Völker an jedem Sommerwochenende mit einem Drahtnetz über dem Kopf. Morgen s schluckte er mit Überzeugung einen Teelöffel seines Honigs – ein Geschenk Gottes, sagte er, bekömmlich, ein Labsal für den Leib, eine Wohltat für den Stuhlgang. Alles, was die Immenzucht betraf, hatte er gelesen: die Bücher von Bienenbaron Berlepsch, Dadant, den alten Dzierzon aus Schlesien – de r hatte jeden Tag Honig geschluckt und war uralt geworden, bevor er eines Morgens nicht mehr aufgewacht war, mit einem Lächeln im Gesicht –, und die Artikel von Heinrich Friese aus Schwerin, der auch schon über siebzig war und noch immer rüstig und tüchtig und vierzehn Kinder hatte . Lobgott bezog die Bienenzeitung und, für einen beträchtlichen Jahresbeitrag, den Stuttgarter Kosmos , der seit neuestem farbige Bilder druckte . Ein langes Leben, sagte er, hä tte seinen Preis.
Im Jahr zuvor hatte Georg den Küsterlehrer beim Sonntags essen an der Kälber Drift gebeten, das Lehrwerk der Bienenzucht ausleihen zu dürfen . Dessen Verfasser, ein Freudenstein, hatte die Imkerei revolut ioniert,
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