Braeutigame
am Tag des Herrn immer noch besser als trocken Brot mit Wurst und kaltem Aufschnitt… Dafür musste man einiges in Kauf nehmen, so ging es im Leben, von nichts kam auch nichts, man musste im Schweiße seines Angesichts arbeiten, um satt zu werden. Oach, wenn das Kindchen d och nur halb so gut singen könnte wie es Borscht mit Schwecheln und Dill kochen konnte . Hunger. Ja. Er hatte wirklich Hunger – hatte Hilli ihm etwas vorbereitet? Roch es nach Essen, nach Kraut und krosser Fleischkruste? Oder nicht? Er öffnete die Augen und sah auf die Uhr, ihm gegenüber auf dem Schreibtisch.
Alma hatte aufgehört zu singen.
„Du hast keine Gabe“, sagte Lobgott. „Nein, nein, mein Kind. Ich weiß, wovon ich rede. Feuer in der Stimme hast du. D as gefällt dem Herrngott nicht. Gar nicht gefällt ihm das. Bachs Kant aten sind… protestantisch, ja ? Rein sollen sie sein, und du singst sie wie ein … wie ein türkisches Heidenmädel. Da ist viel zu viel… zu viel… na… wie sagt man das nu n …?“
Sie stand vor ihm und sah verschämt auf das Gesangbuch auf dem Notenständer.
„...zu viel… Herz, zu viel Herzensblut, weißt, wenn du singst? Hier, nimm einmal diese Stelle – Tod, Teufel, Sünd und Hölle , das singst du, als stündst du im Opernhaus von Odessa, und eher werde ich Knecht bei deinem Vater als dass du , meine Kleine, die Oper singst. Du musst deine Stimme… zurücknehmen! Beschei denheit, ja, Alma – die ist wichtig beim Gesang. Im Leben ist sie eine Tugend und beim Singen nicht minder . Nicht du willst doch bei der Musik im Mittelpunkt stehen .“ Er flüsterte jetzt. „Sondern um die frohe Bot schaft des Herrn geht es, die du weitertragen willst. Nein, mein Kind, so geht es nicht, mit dieser… dieser… Leidenschaft.“
Alma sah ihn stumm an.
„Gleich noch einmal“, sagte er und schloss die Augen. „Bescheidenheit, hörst du mich? Man singe stets bescheiden. Also: Nun seid ihr wohl…“ Er sang die ersten Noten mit.
Weiter ging es mit Fallt - mit -D anken, Wir - singen -D ir, Lasset - uns - nun - gehen und schließlich Am -B runnen - vor - dem -T ore, das Lobgott gefiel, obgleich es weltlich war und nicht von Bach.
„… du fä-hän-dest Ruhe dort“, sang Alma.
Lobgott seufzte: „ So sei es.“ Er ließ die Arme sinken. „ Nun üb fleißig und streng dich an, Alma. Begabt bist du nicht, mein Kind, aber mit Geduld und Übung kann es noch et was werden mi t dir. Vielleicht kriegen wir das Bäu erische eines Tages raus aus deinen Liedchen… – Nun fang mal nicht gleich wieder an zu heulen. Es kann doch in der Welt nicht jeder singen k önnen wie ein begnadeter Musikus . Die Kunst geht ihre eigenen Wege, die sucht sich ganz von selbst Kundschaft. Jetzt geh mal. Es ist Zeit. Der Vater sitzt sicher schon zuhause und wartet aufs Essen. “
Alma nahm ihre Noten vom Ständer.
„ Halt . W arte , Kindchen“, sagte Lobogtt. „I ch muss Dir doch noch rasch den toten Igel zeigen. Hinter der Kirche lag er, bestimmt schon eine Woche. Komm mal mit, ich hab ihn in einen Karton getan. Die paar Maden stören uns sicher nicht. “
Als sie die Haustür des Küsterhauses aufmachte, stand ein Monster im Windfang. Alma wusste später nicht, wie lange sie dort verharrte und schrie, die Hände zu Fäusten geballt. Aber sie wusste, dass sie kreischte, hoch und spitz kreischte sie, sie hörte es und hörte es doch nicht, es kam einfach über sie, es war die nackte Angst: Der Wolf war gekommen, um sie zu holen.
Die Bestie war schwarz oder jedenfalls dunkel, sie konnte es nicht genau erkennen, die Nacht war während ihrer Singstunde her eingebrochen, und aus Lobgotts Diele fiel nur schwaches Licht in den Windfang. Sie hatte ein schmutziges, nasses Fell, und sie roch, bestialisch stank sie, der faulige Muff stieg ihr in die Nase. Das Tier hatte riesige, hungrige Augen und einen schwarzen, haarigen Kopf.
Alma schrie.
„Chljieb?“, sagte der Wolf.
Lobgott kam in den Flur, die gestopfte Pfeife in der Hand, die er sich soeben nach getaner Pflicht hatte anzünden wollen. Er hatte bereits seinen Binder abgenommen und das Hemd am Hals aufgeknöpft.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“, fragte er laut.
„Chljieb?“, wiederholte der schwarze Mann. „Gi e ss?“
„ Was wollen Sie…? – chljieb, sagt er –… Brot, will er, Alma, Kind, nun bleib mal r uhig und quiek nicht rum wie eine Zieselmaus , ko mm, geh nach hinten in die Küche zu Hilli.“ Lobgott wechselte ins Russische. „Zu wem
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