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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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    „Nicht i n Ihre m Tempel. In Odessa, hat er gesagt. In der Oper darf ich nicht singen .“
    Elwira musste laut lache n. „Hat er das? Lobgott sagt , du würdest nie die Oper singen? “
    Alma nickte
    „ Ach weißt du , Alma“, sagte sie, „da bleib ganz ruhig. Das Feuer hat unse r Herr Lobgott nicht erfunden. Du m u sst nicht auf alles hören, was er dir in den Kopf setzt. Du bist doch noch ein Mädchen. Wer weiß, was Gott für dich plant? Das Leben geht seinen eigenen Weg. Schau, Lobgott spielt seine Choräle auf der Orgel – Sonntag für Sonntag Choräle, und alles zur Ehre Gottes . Hier im Dorf mag so einer als kluger Mann gelten, aber in der Welt draußen…“ Sie zeigte auf die Stubenfenster. „Die ist um so vieles größer als dieses Leip zig. Ein Kaff sind wir , Mädchen. Lass dich von dem nicht irre machen. Es gibt soviel mehr in der Musik als nur die christlichen Choräle – und dann erst in den Opernhäusern…“
    Alma sah sie an und musste auf einmal lachen. So respektlos hatte sie lange niemanden reden hören.
    „Ich will dir was sagen : Wie ein Engel vom Herrn singst du. Wie eine Nachtigall. Da d arfst du dir aber nie etwas drauf einbilden, auch wenn ich dir das gesagt habe. Versprichst du mir das?“
    Alma nickte vorsichtig, mehr aus Höflichkeit als aus Überzeugung . Leas Mutter war an manchen Tagen komisch. E s musste das Vornehme sein.
    „Einbildung tut nämlich keinem gut“, sagte Frau Dressner. „Wer hochmütig ist, dem geht die ganze Kunst verloren. Erst muss man gründlich Demut lernen in diesem Leben. Von da an folgt dann alles andere, das Große. Und jetzt weißt du auch, was e s mit Lobgott auf sich hat. Mit der Demut hat der sich immer schwergetan. Und nur weil du wie eine Nachtigall singst, darfst du dich nicht für etwas Besonderes halten. Auch ein Vögelein wird vom Singen nicht satt. “
    Alma sah sie ratlos an.
     
    Auch Minna konnte singen, wenngle ich nicht wie eine Nachtigall. D och sie glich den Mangel an Begabung mit Fröhlichkeit und Volumen aus: Auf dem Feld und bei der Arbeit im Hof sang sie am lautesten von allen, schief zwar, aber hemmungslos. Wenn es stimmt, dass Unbedarftheit und Naivität eine Voraussetzung für das Glück des Menschen sind, erlebte Minna Freier beim Singen die glücklichsten Momente ihrer Jugend.
    Mit vierzehn Jahren, anlässlich ihrer Konfirmation am Palmsonntag, trug sie in einem weißen Festkleid mit gehäkeltem Spitzenkragen an der Kälber Drift Lieder vor . So schräg klang es an den höheren Stellen, dass Georg und Jakob, die in neuen Anzü g en in der Stube saßen, das Haar hint en geschoren und oben mit Brill antine gescheitelt, gleichzeitig ei nen Lachanfall bekamen. Die Jungen steckten Lilli und den Vater und schließlich Minna selb st mit ihrem Prusten an, b evor sie aus dem Zimmer liefen und sich erst im Hof beruhigten .
    Diese Jugenderinnerung verblasste rasch . Weniger als ein Jahr später, am letzten Sonntag im Januar 1934 , ereignete sich das Unglück, nach dem sie nicht mehr singen wollte. Es kam in Gestalt einer Kuchengabel in ihr Leben, die T ante Else aus Gnadent al, Marga Fr eiers Schwester, den Eltern sieb zehn Jahre zuvo r zur Hochzeit geschenkt hatte.
    Es lag Schnee an diesem Tag. Die Leipziger Bauern fuhren nach dem Mittagessen, eingehüllt in Pelzmäntel und bunte Bulgarendecken, mit Schlitten den Breiten Weg hinauf und hinunter, um ihren Pferden Auslauf zu verschaffen. Die Schellen klingelten, der Atem der Pferde dampfte, die jungen Männer spornten ihre Tiere an und lieferten sich mit lautem Peitschenknallen Wettrennen. K urz: Man war sorglos und genoss den Sonntagnachmittag, an dem es keine Pflichten gab.
    Familie Freier beendete gerade den Na chtisch in der Stube, als es klopfte. Minna, das schnellste, lauteste, vorlauteste von Daniel Freiers Kindern, sprang von der Ta fel auf, bevor ihr Vater sie zurück halten konnte. Sie lief mit der Gabel im Mund in die Diele, um die Haustür zu öffnen. Minna sprang, rutschte auf den gebohnerten Dielen aus, sie stürzte vornüber – und genau in diesem Moment drückte Lobgott die Klinke, öffnete von außen schwungvoll die Tür, ihrem fallenden Körper entgegen und vor allem: ihrem Kopf und dem Stiel von Tante Elses silberner Kuchengabel, der aus Minnas Mund ragte.
    Sie konnten dem Küsterlehrer keinen Vorwurf machen, jeder im Dorf hielt es so: Wer einen Besuch abstatten wollte, klopfte höflic h an , aber er wartete nicht, bis er eingelassen wurde, sondern ging

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