Braeutigame
heiratest, ist das längst geheilt und vergessen. Da bleibt nichts nach. Lass mal den Mund schön of fen und lass mich sehen, was ist. War die Gabel oben drin, im Gaumen? Oder hinten?“
„Hnnn“, machte Minna.
„Was? Oben?“
Sie nickte.
„Sollten wir nicht besser den Dokt or rufen?“, sagte Lobgott. „Unseren Prudöhl?“
„Was?“, sagte Freier. „Meinst du ?“
„Besser wäre es.“
„Da müssten wir den Wagen...“
„Nun denn, nun denn, Freier, den Wagen, ja, und es wird Geld kosten. Aber du siehst doch, dein Kind blutet wie ein gestochenes Schwein. Und du weißt wie es gehen kann, wenn sich eine offene Wunde entzündet. Dann kannst du schnell d a ran sterben. Gerade so ein Kind, das hat noch keine Kraft im Leib wie ein Großer.“
Freier sah Minna an und schüttelte den Kopf. „Wegen so einer kleinen Sache .. . Das wird wohl eins der Weiber richten können. Im Mund entzündet sich nichts.“
„Die Zedel meinst du ?“
„Georg!?“, rief Freier ins Haus. Er drehte sich um. Im Flur standen seine Kinder, Hedwig und Oma Mathilde mit Arthur an der Hand. Lillis Mund stand offen wie blöd. Mischka war aus dem Hof zurückgekehrt und lehnte mit dem Rücken an der Wand, wo er ruhig Tabak in den Kopf seiner Maispfeife stopfte.
„Hier, Vater .“ Georg saß auf den obersten Stufen der Dielentreppe, die auf die Bühne führte, und aß mit den Händen ein krümelndes Stück Nussk ranz.
„Hör, Junge – du nimmst den Schlitten – den guten neuen – und gehst und machst die Schimmelstute fertig, Rosalie, und zockelst rasch zu r Zedel und holst sie, verstanden ? Mischka hilft dir mit dem Geschirr. Sagst ihr, was passiert ist, und dass sie alles mitbringen soll, was sie braucht. Was zum Blutstillen wohl, irgendwas Heil endes. Wird sie bei sich schon Passendes finden, was eine Wunde schließt. Musst ihr aber sagen, dass et was im Mund ist bei Minna. Also innendrin im Kör per, nicht äußerlich. “
Georg nickte.
„Und sag ihr auch, dass es ihr Schaden nicht sein soll, wenn sie ihre Sache gut macht. Und trödel nicht rum mit dem Pferd, hörst du? D ie Zedel soll sich ranhalten , dass das Kind nicht unnötig Blut verlier t. Das ist nicht gut, auch wenn e s nur im Mund blutet und sonst nirgends. Hol mal einer… – Alma! Hedwig! Nun steht ihr zwei nicht rum und starrt wie Lots Weiber. Holt Lappen und Eimer aus der Küche – was denkt ihr euch denn…? – Feudel , Besen und was, seht doch, wie e s hier au ssieht auf dem guten Boden! N u n nicht wieder mit großen Augen glotzen, Hedwig, los, los, Bewegung, Fräulein!“
Sie hörten Georg im Hof. Als Rosalie den Schlitten auf den Breiten Weg zog, klingelten die Schel len. „Aaaa aargh… heyyy!“, rief Georg und ließ die Peitsche über dem Kopf der Stute knallen.
Daniel Freier lächelte stolz. Er zog seine Pfeife aus der Hosentasche und ging in die Stube.
„Komm, Lobgott“, sagte er.
Irma Schilling erzählte hinter vorgehaltener Hand, dass die alte Zedel Zigeunerblut in sic h hä tte und mit dem Teufel und seinen Dienern im Bunde wäre . Sie sollte sich einbilden, aus der Hand wahrsagen zu können, und wenn sie den Christen die Linien las, verhieß sie nie Gutes.
Genau diese Gerüchte waren der Grund dafür, dass Leipzigs Männer, wenn die Lust sie auf die eine oder andere Art plagte , nicht zu r spröden Frau Schilling gingen, sondern zur Bulgarin. Sie liefen vor Scham im Gesicht rot an, wenn sie sich im Schutz der Abenddämmerung auf den Weg machten, und einige von ihnen mussten sich, wenn es der erste Besuch bei der Zedel war, Mut antrinken, ging es doch um Schlüpfriges, um das Weib und das Werkzeug ihrer Gottespflicht. Aber so pikant die Angelegenheit sein mochte: Die Zedel lästerte nicht, schwor Isidor Giese. Die hatte noch nie gelästert, und wenn sie doch einmal den Mund aufmachte, dann palaverte sie in einem Durcheinander von Slawensprachen, das keiner verstand, und es ging, soweit man sagen konnte, i mmer nur um Zockerkruschken, Pad laschana und Bolleneier, die sie mit Hühnerdreck düngte, nach Einbruch der Dunkelheit, damit es keiner sah.
Die alte Zedel kam hinter Georg in ihrem fransigen Schultertuch ins Haus, an dem Schneeflocken hingen und in der Wärme der Küchenöfen schmo lzen. Sie hatte ein kupferfarben es, ledriges, von Furchen und Falten durchzogenes Gesicht, lebhafte braune Augen und trotz ihres Alters einen schelmischen Blick, der schnell ins Traurige wechseln konnte, wenn sie etwas nicht verstand und
Weitere Kostenlose Bücher