Braeutigame
unsicher wur de . Sie war ungefähr so alt wie Isidor Giese, der am Ring auf die Welt gekommen war – im Haus, in dem nun Chaim seinen Krämer- und Kolonialwarenladen hatte. Der alte Giese erinnerte sich, sie schon als Mädchen gekannt zu haben, und er machte, wenn er sie zufällig auf dem Breiten Weg traf, noch immer Scherze mit ihr, als hätten sie das Dreikaiser jahr, als wäre sie eine junge Frau und er ein schneidiger Reiter. Opa Giese erzählte auch die Geschichte von den Wölfen, die im eisigen Winter achtundsechzig kamen und die beiden Geschwiste r der Zedel bei Tarutino aus der Lehmhütte holt en, als die Mutter draußen nach Ofenholz suchte. Nur die Schultern und Köpfe und ein Bein ließen die Tiere übrig, sag te er, die fanden die Bauern im Schnee auf einem Hügel , m ehr nicht. Die Mutter der Zedel kam nie über den Verlust hinweg und starb im folgenden Jahr.
Die alte Zedel besaß außer Geflügel nicht viel. Sie baute am Ufer des Kogälniks Gemüse an, das sie im Sommer mit Handpumpen und ausgehöhlten Baumstämmen bewässerte und an die Bauern in Leipzig und auf dem Markt in Romanowka verkaufte. Die wäre so arm, flüsterte Frau Schilling, dass sie in schlechten Zeiten den bitteren, schwarzen Eierschleim vom Sterlet essen müsste und ab und zu den Dreck vom Beluga, der groß wie ein Schiff werden konnte. Was andere Le ute den Schweinen zum Fraß hinwü rfen, sagte Irma Schilling, nähme die Bulgarin und machte werweißwas damit, ein Grauen. Den schärfsten Pfeffer schl uckte sie wie andere Leute Butterkuchenstreusel .
Als die alte Zedel zu den Freiers in die Küche kam, nahm sie ihren roten Stoffgürtel ab und bekreuzigte sich. Minna lag auf der Bank vor dem Fenster auf dem Rücken . Sie blutete aus der Nase und starrte an die Decke. Oma Mathilde tupfte ihr mit einem feuchten Küchentuch das Gesicht ab .
Die Bulgarin streichelte Minnas Wange mit ihrem kalten Handrücken, untersuchte Gaumen und Rachen und bat um eine Schüssel und einen frischen Brotlaib. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl am Küchentisch und machte sich stumm an die Arbeit. Sie entfernte die braune, glänzende Kruste des Brots, das Hedwig und Alma am Morgen gebacken hatten, und pulte das feuchte Innere in die Schüssel. Aus einer bestickten Tasche, die an ihrem Gürtel hing, holte sie mehrere braune Ampullen und Lederbeutel. Sie legte alles vor sich auf die Tischplatte.
„Was das nu n wird, wenn’s fertig ist“, sagte Lobgott kopfschüttelnd.
Die Zedel schaute nicht auf, sondern goss konzentriert eine dünne, braun-gelbe Flüssigkeit aus einem Glas über das Brot in der Schüssel.
„Mjod “, sagte sie leise.
„Irgend et was mit Honig wird das“, sagte Lobgott. „J a, das ist eine gute Sache. Das Bienlein heilt alle Wunden, g anz recht, ganz recht. O hne Kenntnisse ist sie nicht, die Frau Zedel, das kann ich wohl bestätigen, Freier. Sieh einer an.“
Mit einem Messer zerschnitt die Bulgarin Knoblauchzehen und mischte sie mit getrockneten Kamillenblüten und Kräutern unter das Brot. Dann ließ sie Alma eine halbe Tasse warme Kuhmilch darübergießen, stellte die Schüssel in ihren Schoß, hielt sie mit der linken Hand fest und knetete alles mit der rechten durch.
„Mischka, fragst du sie, ob sie was trinken will?“, sagte Freier, der am warmen Ofen saß und sich die Bibel genommen hatte. „Tee kann sie haben, wenn sie will.“
Mischka übersetzte.
„Ein Glas von eurem Wein würd e sie trinken“, sagte er grinsend. „Und sie sagt, sie hätt e heut e in der Früh e nur ein Ei gegessen.“
„So. Sagt sie das? “
„Ein roh es Ei, sonst nichts, sagt sie. Es ist Winter.“
Die Zedel sah Freier an und nickte zur Bestätigung. „Ei“, sagte sie auf Deutsch und rollte zwischen ihren Handflächen kleine Kügelchen. „Ein Ei. Nicht zwei Ei. Mmhh. “ Sie grinste.
Alma stand auf, holte einen Suppenteller aus dem Schrank und einen Löffel aus der Schublade im Küchentisch.
„Wir haben Borscht“, sagte sie auf Russisch, halb zur Zedel, halb zu Mischka, abe r die Bulgarin hatte sie verstanden, ohne dass er übersetzen musste.
„Achtung jetzt“, sagte Mischka, während die Bulgarin mit der Schüssel zu Minna ging und ihr brabbelnd ein rundes Brotkügelchen von der Größe einer Murmel in den Mund steckte. „Alle zwei Stunden ... musst du eines davon nehmen, Tag und Nacht, wenn es geht ... – und nicht gleich kauen und schlucken, sondern nur in den Mund legen und lutschen... und am besten liegen bleiben
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