Braeutigame
heraldischen K ommission in Anschakrak nach seiner Meinung gefragt worden, auch einen Immenstock gezeigt hätte. Nun, wie dem sei: Was galt der Prophet im eigenen Dorf? Bekanntlich nichts.
S elbst ohne die fleißigen Bienen bereitete ihm das Eichenschild Genugtuung . Das G elb im Wappen wie die Felder . Blau für den Himmel. Ein Steppenbrunnen . Ein Pferd. Z wei Ähren, die das Kreuz umschloss en. Ja, ja, das war ihre Welt, befand Lobgott zufrieden an jedem Morgen, an dem er die Schultüren aufschloss, ihr Leben. Sol lten andere Leute in die Städte ziehen und liederlichen Ve rsuchungen erliegen, nach Kischinjew, Odessa, Bukarest, Belgrad. Was könnte es dort geben, was es in Leipzig am Kogälnik nicht gäbe? Unter das Wappen hatte er gerahmte Fotografi en gehängt, damit die Kinder sehen konnten, wer zählte: den jungen König Karl , ihren tre uen Ferdinand mit Orden und Marie , Bismarck, Hindenburg, Hitler. Was von den Rumänen nicht verboten war, war er laubt, fand Lobgott, sollte erst mal einer was sagen. Man durfte die Wurzeln eines stolzen Baumes nicht abhacken.
Drei Wände seines eigenen Klassenzimmers, vorne rechts mit den Fenstern zum Ring, hatte Lobgott mit Tierbildern geschmückt, kolorierte n Drucke von ausgestorbenen Geschöpfen, die er aus einem abgelaufenen Jahreskalen der geschnitten und gerahmt hatte. Den Fenstern gegenübe r hingen die Vögel – Wandertaube, Dodo, Riesenalk, Elefantenvo gel –, weiter rechts, an der Wand dem Pult gegenüber, an der im Winter ein Eisenofen heizte und knackte , zwei langhalsige Moas und ein Donnervo gel mit dickem Schnabel. H inter seinem Pult hatte Lobgott die Säuger aufgehängt, von denen zwei , Auerochs e und Säbelzahntiger, auf der einen Seite der Schreibtafel durch Wald lief en, und zwei weitere , Mammut und Quagga, auf der anderen durch Steppe .
Zwischen de n beiden Fenstern zum Ring stand eine Vitrine, auf der Lobgott einen hölzernen Globus aus der Kaiserzeit abgestellt hatte , unerreichbar für die Kinder, sicher vor ihren ungeschickten Fingern. Er hatte ihn lange nicht heruntergeholt; a m Nordpol hatte sich eine Staubschicht gebildet und das Eis der Arktis grau gefärbt. Vom Pult au s konnte er Europa sehen, Deutschland und d ie Kolonien in Afrika preuß ischblau, d as britische Weltreich rot. Bessara bien gehörte noch dem Zaren, ein winziger Zipfel am Rand des Balkans, das im blassen G rün des riesigen, sich quer über den Globus ziehenden Russenreich es unterging.
In der Vitrine standen Gläser mit Tieren in gelbem, dickflüssigem Alkohol. Lobgotts Präparate-Sammlung umfasste die Schlangen und Eidechsen ihrer Gegend, Molche, Feuersalamander und Blutegel, Igel, Mäuse, Ratten, Hamster und Erdhasen. Sogar einen Wolfswelpen hatte er eingelegt, der mit geschlossenen Augen, den weißen, nackten Kopf am Boden, in seinem Glas sc hwebte. Ganz unten im Vitrinenschrank lag Lobgotts Rute, d ie er alljährlich im Früh ling, wenn vor der Schule der Mai baum stand und die Weiden am Kogälnik Triebe gebildet hatten, durch eine neue ersetzte. Es war zu peinlich, wenn ihm während der Bestrafung ein trockener Zweig aus dem Vorjahr abbrach und ihn die Ungezogenen in der Klasse aus lachten.
Im September 1934 , wenige Wochen nach seinem zehnten Geburtstag, wechselte Georg nach Anschakrak aufs evangelisch-lutherische Knabengymnasium, und Lobgotts Weidenr ute verschwand aus seinem Leben. An der Anschakraker Schule erzog man modern – nicht mit Schlägen, sondern mit Methode –, sperrte in den unbeleuchteten Keller und ließ Latrinen und Waschräume putzen , je schwerer die Verfehlung um so kleiner die Bürste .
Die Obersc hule kostete Daniel Freier Geld, aber sein Ältester sollte einmal den Hof führen, d a reichte es nicht, ein Maultier von einem Esel unterscheiden zu können. Zum Wirtschaften gehörten Rechnen und Haushalten, und auch die Technik, die sie am Gymnasium lehrten, schadete nicht. Man musste mit der Zeit gehen. Fuhr inzwischen nicht ein original Lanz Bulldog durch Leipzig ? Suchte Lobgott mit seinem Radiowellenempfänger nicht täglich nach fremden Ländern? Der Fortschritt ma chte nicht halt vor dem Budschak .
Gemischte Gefühle hatte Daniel Freier dagegen, wenn Alma und Minna morgens zur Schule aufbrachen . Sie würden gut lernen, sagte Lobgott („nicht ganz ohne Gabe“), auch eine saubere Schrift schreiben und die Flüsse Europas kennen und die Jahreszahlen der preußischen Könige und deutschen Kaiser. Aber was, dachte Freier, würden
Weitere Kostenlose Bücher