Braeutigame
die Burschen sagen, wenn ihnen eine Braut gelehrt und altklug daher kam? Wer wollte ein Weib heiraten, das im Kopf in Brüchen rechnete? L ieber als in der Schule sah er die Mädchen auf dem Hof bei Oma Mathilde und He dwig – die eine so alt , dass sie kaum das Butterfass aus der Ecke rollen konnte, die andere ein Kulmer Fräulein, das nichts als Flausen im Kopf hatte und faul wurde, s obald man sich umdrehte .
Aber Hof und Küche allein reichten nicht, fürchtete Freier , Marga hatte ihn immer gewarnt. Selbst die Kinder lachten über die , die nicht lesen konnten. Über Leute wie Wladi und Gustav, der außer essen, trinken und furzen überhaupt n ichts konnte im Leben . Selbst über Mischka spotteten manche – seinen guten Mischka, der fünf Spra chen verstand, auch wenn er keine davon zu Papier bringen konnte.
„Lass die Mädchen lernen“, sagte er zu Lobgott, „aber bring ihnen nicht zu viel bei. Alles in Maßen.“
„Freier“, sagte Lobgott, „weißt du denn nicht, wie es auf dem Hof geht? Muss ich es dir erklären?“
„Was soll das heißen?“
„Es ist mit den Kindern wie mit den Feldern. Man kann nur ernten, was man sät. “
Die Mädchen in Valea Popeschs Handarbeitsklasse konnten zusammen zwölf Sprachen. Neben Deutsch verstanden alle Rumänisch , Moldawisch und die meisten Russisch, und diejenigen, die besonders gut im Rus sischen waren, hatten auch mit Bulgarisch und Ukrainisch wenig Mühe . Zwei oder drei beherrschten Gagausisch , einige andere, deren Vorfahren nicht aus Baden und Württemberg nach Leipzig gekommen waren, sondern aus Pommern und Ostpreu ßen, Kaschubisch und fast alle Jiddisch. Ein Mädchen konnte Griechisch, eines Armenisch, ein weiteres, dessen Mutter aus den Wojwodschaften am Dnjepr stammte, Schwedisch. Die ei nzige, die nur zwei Sprache n beherrschte, war Valea Popesch, zwanzig Jahre alt, aus Dobritsch.
Diese Popesch, sagte Lobgott, wäre ein junges Ding, das in einem Schulzimmer ric htig aufgehoben wäre, aber keinesfalls auf dem Lehnstuhl hinter dem Lehrerpult – die w ü sste n icht, wo bei einem Kalb vorne und wo hinten wäre . Außerdem hät ten, mit oder ohne Fräulein Valea , Häkelnadeln und Stickrahmen bekanntlich nichts im Klassenzimmer verloren. Die Handarbeitssachen gehörten in die Stube daheim und auf die Ofenbank in der Küche , nicht in die Lehranstalt . Sogar in ihrer eigenen Nase gebohrt hätte sie einmal mitten im Unte rricht, diese Person; Lobgott hä tte es durchs Fenster beobachtet. Nicht dass er der jungen Kollegin aus Dobritsch nachspioniert e, nein, nein, Gott bewahre, er wollte ihr nich ts Böses, nur helfen. Aber er müsste doch, schließlich wä r e er Dienstältester und Küsterlehrer, ein Auge darau f haben, was aus dem Jungvolk wü rde. Wenn schon die rumänischen Lehrkräfte am helllichten T ag im Klassenzimmer popelten, kö nnte man den Leipziger Kindern, die Tag für Tag Gefahr liefen, dem Wilden, Ungezogenen zu verfallen, kaum Zucht und Ordnung abverlangen!? So unmanierl ich, mit dem Zeigefinger tief drinnen im Nasenloch , ginge es nicht.
Am meisten wurmte Lobgott, dass die Großrumänen ihnen den Unterricht in der Muttersprache verboten. Die deutschen Lehrer hatten gleich nach Abzug der Russen Platz machen müssen für die rumänischen Gimpe l, die sie ihnen schickten. Blödsinn wä r e das, sagte Lob gott, schließlich verstü nden alle Jungen und Mädchen im Dorf deutsch, sogar die Kinder der Moldowaner und Bulgaren , ganz von alleine lernten sie es, wie es in der Kindheit eben ging e , wenn der Kopf noch frisch und formbar wä r e und unverdorben vom Schnaps. Aber was sollte er machen? Ihm wä ren die Hände geb unden, mehr als allen anderen. Gesetz wäre Gesetz, ob vom Zaren in Sankt Pete rsburg oder vom König in Bukarest. Dabei war ihr Herrscher sogar Deutscher, ein echter Hohenzollern. W ie konnte er nur?
Immerhin erlaubten ihm die Rumänen, den christlichen Glauben – und Gott sei gedankt: die herrlichen Choräle – in deutscher Sprache zu unterrichten. Es war ein Trost, der die Demütigung nicht vergessen machte, aber linderte. Ein bisschen.
Dass sich Lobgotts Klassenzimmer jedes Jah r im März zu leeren begann... – nun, so war der Lauf der Zeiten, sagte der Küsterlehrer, so hatte G ott es bestimmt; die Felder mussten bestellt werden, im Schweiße des Angesichts. Aber es war in jedem Jahr auf s Neue eine Enttäuschung , dass den sturen Leipziger Bauern die leeren Bäuche ihrer Kinder näher am Herzen
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