Bragg 04 - Dunkles Verlangen
der Zerstörung, aufgewirbelter Grasfetzen und Erdklumpen.
»Der Mann ist verrückt.« Erst als sie ihre eigene Stimme hörte, bemerkte Jane, dass sie laut gesprochen hatte. »Er bringt sich noch um!«
»Oh, nein, Mylady, keiner kann reiten wie er.«
Jane sah Molly prüfend an. In der Stimme des Dienstmädchens klang ein gewisser Stolz mit, ihre Augen strahlten. Mein Gott, dachte Jane, das Mädchen ist in ihn verliebt. »Aber schau nur, was er auf dem Rasen angerichtet hat!«
Molly hob die Schultern. »Das ist ihm doch egal.«
Jane musste an die Erdklumpen denken, die sie am Vortag in der Halle gesehen hatte, an den Staub im Salon und an den Zustand der Küche. Nein, diese Dinge interessierten ihn wirklich nicht. »Molly, wie lange arbeitest du eigentlich schon für Seine Lordschaft?«
»Erst ein paar Monate, Mylady.«
Jane war enttäuscht. »Und – ist an den Geschichten was dran?«
Molly bekam leuchtende Augen. »Ihr meint, an den Geschichten über seine Frau?«, flüsterte sie.
Jane biss sich auf die Unterlippe. Wie dumm von ihr, mit einer Bediensteten über solche Dinge zu reden, aber … »Ja.« Sie sprach ebenfalls mit gedämpfter Stimme.
»Möglich, dass er sie umgebracht hat«, sagte Molly. »Er trägt so viel Wut mit sich herum. Und er ist so stark.«
»Ja, ich glaube …« Jane unterbrach sich und sah Molly an. »Woher weißt du denn, wie stark er ist?«
Molly errötete.
Jane war nicht naiv. Molly war hübsch und drall und der Earl ein attraktiver Mann. Sie empfand einen schmerzhaften Stich. Doch sie riss sich sofort wieder zusammen. Viele adelige Herren amüsierten sich mit weiblichen Bediensteten. Das war nichts Ungewöhnliches. Aber wieso hatte sie plötzlich Tränen in den Augen? Sie drehte sich um und blickte aus dem Fenster. Zu ihrer Verblüffung sah sie eine ganze Armee von Gärtnern, etliche davon in Knickerbockern. Die Männer waren damit beschäftigt, die Spuren der Zerstörung, die der Earl hinterlassen hatte, mit ihren Schaufeln und Spaten wieder zu reparieren. Jane holte tief Luft.
»Auf dem Rückweg nimmt er einen anderen Weg«, sagte Molly. »Wenn er heute Mittag zurückkommt, ist hier alles so gut wie neu.«
Jane konnte es kaum glauben. »Und wo nehmen die Gärtner immer wieder den frischen Rasen her?«
»Ach, sie kaufen jede Woche einige frische Rollen. Seine Lordschaft kommt nämlich täglich auf seinem Ausritt hier vorbei.«
Jane fand das alles nicht mehr amüsant. Der Mann war verrückt, so viel war ihr inzwischen klar. Außerdem fand sie es arrogant von ihm, sein Haus und seinen Garten mit solcher Missachtung zu behandeln.
»Thomas war schon hier im Haus, als die Sache damals passiert ist«, vertraute Molly ihr leise an.
Jane fuhr herum. »Der Butler?«
»Ja, Mylady. Wisst Ihr, seine Frau ist nämlich verbrannt.«
»Das habe ich nicht gewusst.«
Molly wies mit dem Kopf Richtung Südflügel. Die rußgeschwärzten Mauern und ausgebrannten Fensterhöhlen waren vom Esszimmerfenster aus gerade noch zu erkennen. »Dann glauben die Leute also, dass er das Feuer gelegt hat um sie umzubringen?«
Molly nickte. »Und den Liebhaber seiner Frau hätte er auch fast umgebracht. Kennen Sie die Geschichte? Hat ihn zum Krüppel geschossen. Seine Lordschaft …«
»Molly! Das reicht jetzt. Du hast oben noch einiges zu erledigen.«
Die beiden jungen Frauen wirbelten herum. Molly machte einen Knicks, Jane errötete. Thomas stand mit verschränkten Armen neben der Tür und sah zu, wie Molly davoneilte. Jane entbot ihm mit roten Ohren einen »Guten Morgen«. Thomas erwiderte höflich ihren Gruß. Seinen wachsamen Augen entging nichts, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Missbilligung.
Kapitel 7
Um zwei Uhr nachmittags wusste Jane, was sie zu tun hatte. Sie hielt sich unten in der Halle auf und wartete wie ein verknalltes Schulmädchen auf ihn. Aber sie war nicht verknallt, überhaupt nicht. Sie war bloß … fasziniert, sonst nichts.
Jane hatte dem hübschen Dienstmädchen, das oben im ersten Stock allerlei Pflichten zu erledigen hatte, diverse Informationen entlockt. Wenn der Earl morgens um sechs Uhr das Frühstück einnahm, trank er Kaffee und keinen Tee und aß gebratene Eier, Steaks und Kartoffeln. Er verlangte weder frischen noch Räucherlachs und konnte Nierenpastete nicht ausstehen. Beim Frühstück las er die Zeitung. Anschließend inspizierte er auf seinem Hengst den riesigen Besitz. Dabei gehörte die Zerstörung des Rasens fast zur Tagesordnung.
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