Bragg 04 - Dunkles Verlangen
Spiegel, dass er hinter ihr stand, und drehte sich um. Sie hatte ihn nicht kommen hören.
Er sah sie an.
Jane biss sich auf die Unterlippe, ihr Herz fing an zu rasen. Sie kam sich vor wie eine Diebin, wie auf frischer Tat ertappt, was völliger Unsinn war, da sie nichts Schlimmes getan hatte. Ihre Blicke trafen sich.
Er war nass geschwitzt. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Auch sein schwarzes Haar war klatschnass. An seiner Wange rann ein Tropfen hinunter, und an seinem kräftigen und geschmeidigen Hals traten deutlich die Sehnen und Bänder hervor. Sie konnte ihn riechen: eine Mischung aus Mann, Pferd, Leder und Heu. Sie glättete mit den Händen nervös ihren ohnehin tadellos sitzenden Rock.
Sein Blick folgte ihren Händen.
Jane betrachtete seine Brust. Unglaublich, aber sein Hemd war fast bis zum Nabel aufgeknöpft. Er hatte eine breite, muskelbepackte, schwarz behaarte Brust. Sie sah eine kupferfarbene Brustwarze. Sein Bauch war flach und muskulös und hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Seine Hose umschloss hauteng seine Hüften und sein kräftig entwickeltes Geschlecht. Jane errötete und senkte rasch den Blick. Plötzlich musste sie daran denken, wie zärtlich der Earl sie im Traum berührt, wie eigenartig sie sich nach dem Erwachen gefühlt hatte. Sie spürte noch ganz deutlich jenes Verlangen, das auch jetzt wieder Besitz von ihr ergriff. Ihr stockte der Atem.
Obwohl die Augen der beiden nur wenige Sekunden ineinander geruht hatten, erschienen Jane diese Sekunden wie eine Ewigkeit. Sie blickte in sein völlig verschlossenes Gesicht. Keine Regung. Dann ein kurzer grimmiger Blick. Er nickte knapp und ging wortlos an ihr vorüber.
Im ersten Augenblick war sie schockiert über seine schlechten Manieren, dann wütend. Offensichtlich war sie für ihn wie Luft, nicht mal höflich konnte er zu ihr sein, nicht mal einen Guten Tag konnte er ihr wünschen. Sie sah ihm nach und kämpfte mit den Tränen. Dann erschien Molly auf der anderen Seite der Halle, machte einen Knicks und fing an zu kichern. Doch er ging unbeirrt weiter und verschwand im Esszimmer.
Jane war entsetzt. Wusste der Mann etwa nicht, dass man sich vor dem Essen wusch und umkleidete?
Leider besaß Jane nur eine sehr bescheidene Garderobe. Sonst hätte sie sich vor jeder Mahlzeit, ja sogar nachmittags zum Tee eigens umgekleidet. Sie hätte sich gerne für jeden Anlass passend gekleidet: ob nun für einen Ausritt oder eine Ausfahrt mit der Kutsche. So war es nun einmal Brauch in der feinen Gesellschaft. Deshalb war es ihr unbegreiflich, wie der Earl in denselben Kleidern, in denen er seine Ländereien inspiziert hatte, sein Mittagessen einnehmen wollte.
Außerdem hatte er in der Halle die übliche Kotspur hinterlassen.
Einfach unglaublich.
Dann fiel ihr wieder ein, dass er im hintersten Texas mehr oder weniger unter Wilden aufgewachsen war. Und schon war ihr Ärger verflogen. Gewisse Umgangsformen musste man ihm noch beibringen. Sie sah sich schon in der Rolle seiner Lehrerin. Doch dann drängte sie den Gedanken rasch wieder beiseite.
Sie war völlig ratlos. Und wenn sie sich nun einfach zu ihm an den Tisch setzte? Was konnte er denn schon tun? Sie anbrüllen? Sie böse anschauen? Sie einfach wegschicken? ja, genau das wird er tun, dachte sie entsetzt. Mich in den Kindertrakt schicken. Was für eine Demütigung! Andererseits wenn sie nichts unternahm, würde sie es nie erfahren.
Nicht so impulsiv, Jane, mahnte eine innere Stimme. Sei nicht immer so impulsiv – du weißt doch, wie viele Scherereien du dir damit schon eingehandelt hast.
Doch auch diese Bedenken konnten sie nicht beirren. Sie raffte ihren Rock vorne zusammen und tippelte durch die Halle. Unweit der geöffneten Tür blieb sie stehen und lauschte, doch er verhielt sich völlig still. Dann hörte sie, wie Thomas den Earl fragte, ob er noch etwas Wein wünsche, und eine gemurmelte Antwort erhielt. Jane war empört: was für grauenhafte Manieren. Der Mann braucht unbedingt eine Frau, dachte sie. Keine Frau würde sich so ein Benehmen bieten lassen.
Und dann stellte sie sich vor, wie sie mit ihm zu Mittag aß.
Sie malte sich aus, dass sie so schön wie ihre Mutter wäre, kein knochiges Mädchen, sondern ein – in Seide gehülltes, mit Juwelen behängtes – umwerfend attraktives Vollweib. Sie sah den Earl im dunklen Frack vor sich – eine blendende Erscheinung. Der Mann sah sie immer wieder voll Bewunderung an, las ihr jedes Wort von den Lippen ab und sprühte vor
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