Bragg 04 - Dunkles Verlangen
weshalb er eigentlich gekommen war.
Sie sah ihn wieder an. »Euer Lordschaft?«
»Möchtest du mit uns zu Abend essen?«
»Nein.«
Er war völlig verblüfft. Nach dem Fiasko, das Jane am Vorabend mit ihm selbst und Amelia im Esszimmer erlebt hatte, war ihm klar gewesen, dass sie sein Angebot ablehnen würde. Doch eine derart brüske Absage hatte er nicht erwartet. »Und warum nicht?«, fragte er leise. Er wusste nicht, warum es für ihn so wichtig war, dass Jane mit Amelia und ihm zu Abend aß, aber er wollte auf keinen Fall zulassen, dass sie sich hier oben in ihrem Zimmer versteckte.
»Ich bin nicht hungrig«, sagte sie und sah in den Spiegel. Wieder begegneten sich ihre Blicke. »Und ich bin sehr müde.«
Mit ihrem perfekt geschnittenen kleinen Gesicht, den vollen sinnlichen Lippen, den leicht geröteten Wangen und den wundervollen endlos langen Haaren sah sie unglaublich schön aus. Von einem Schulmädchen konnte jetzt überhaupt keine Rede mehr sein. Eine voll erwachsene Frau konnte man sie allerdings auch noch nicht nennen.
In seinem Körper erwachte eine ungestüme Begierde.
»Komm doch bitte zum Essen herunter«, sagte Nick. Der Satz war halb Befehl, halb Frage.
Sie sah ihn direkt an: »Nein, danke.«
Wieder trafen sich ihre Augen. Sie sah ihn entschlossen, er sie unschlüssig an. Er wusste sofort, dass er sie nicht umstimmen konnte, und fügte sich ihrem Willen. Also nickte er knapp, sah sie ein letztes Mal an, drehte sich um und ging hinaus.
Amelia erwartete ihn bereits in der Bibliothek.
Er fand ihr Gesicht ein wenig zu blass und angespannt, obwohl sie geschminkt war. Als er hereinkam, setzte sie ein etwas zu strahlendes Lächeln auf und reichte ihm ein Glas Whiskey. »Hallo, Liebling«, sagte sie. »Ich wollte gerade nachsehen, wo du steckst.«
Er würdigte sie keiner Antwort, sondern ging schweigend zur offenen Terrassentür und blickte in die Abenddämmerung hinaus. Seine Erregung war noch immer nicht ganz abgeklungen. Jane verwirrte ihn immer mehr. Was zum Teufel sollte er nur mit dem Mädchen anstellen?
Verheirate sie möglichst schnell, riet ihm eine innere Stimme.
Oder fahr nach London und lass sie einfach hier.
Ein Gefühl der Erleichterung ergriff von ihm Besitz. Die zweite dieser Optionen entsprach ganz seinem Geschmack. Immerhin gab es eine Menge zu erledigen, bevor er sie verheiraten konnte. Also blieb nur eines: nach London zu reisen und sie hier in Dragmore zurücklassen. Erstklassige Idee.
»Liebling?« Amelia kam näher. »Was ist denn los? Hast du Sorgen?«
Er sah sie an. Sie trug ein hinreißendes schwarzes Samtkleid mit einem tiefen Dekolletee. Sie hatte etwas Lippenstift aufgelegt und die Wangen mit einem Hauch Rouge getönt. Eine schöne Frau zweifellos. Doch dann verglich er die Künstlichkeit ihrer ganzen Erscheinung mit Janes natürlicher Attraktivität. Kein Vergleich. »Nein, alles in Ordnung.«
Amelia lachte etwas bemüht. Der Earl warf ihr einen strengen Blick zu, den sie mit einem beschwichtigenden Lächeln quittierte. »Wo ist eigentlich das Mädchen – dein Mündel?«
»Sie ist oben – müde.«
»Nun ja, nicht verwunderlich nach …« Der Blick, mit dem der Earl sie ansah, ließ sie verstummen. »Ich habe sie heute zufällig auf einem Spaziergang getroffen«, sagte Amelia und sah ihn an. »Hat sie es erwähnt?« – »Nein.«
»So, so.« Amelia wandte ihm den Rücken zu. Nick bemerkte, dass sie aus irgendeinem Grund ungemein erleichtert schien. Er überlegte, was sie vor ihm zu verbergen hatte, schob den Gedanken aber sogleich wieder beiseite, weil es ihm im Grunde genommen ohnehin gleichgültig war.
Dann kam sie wieder zu ihm und ließ ihre Hand am Ärmel seines weißen Hemdes hinaufgleiten. »Liebling.« Ihre Stimme klang rau. »Ich weiß, was dich bedrückt.«
Er war verärgert. »Mich bedrückt gar nichts, Amelia.«
Sie hielt seinen kräftigen Unterarm umklammert. »Bisher hast du mich im Bett noch nie abgewiesen«, sagte sie leise.
Sie meinte damit sein Verhalten am Abend zuvor. »Ich hab doch gesagt«, erklärte Nick ebenso leise, »dass ich nicht in Stimmung war.« Seine Stimme hatte einen warnenden Unterton.
Amelia klammerte sich noch immer an seinen Arm. Die beiden sahen sich aggressiv an. »Ach, du bist doch sonst immer in Stimmung. Wie ein Zuchthengst. Ich kenne dich doch.«
»Ach, tatsächlich?«, sagte er spöttisch. »Mach dir bloß nichts vor.«
Amelia verfärbte sich dunkel und stampfte mit dem Fuß auf. »Du bist scharf auf
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