Bragg 04 - Dunkles Verlangen
»Was? Sprich ruhig weiter, Jane.« Seine Stimme hatte etwas Bedrohliches an sich.
»Entschuldigung.« Sie atmete heftig und errötete.
»Und natürlich habe ich meine Frau umgebracht«, sagte er schnurrend.
Jane fuhr zusammen. »Nein! Daran habe ich nicht mal gedacht!«
»Nein? Dann stört dich also fast alles an mir – bis auf eines: mein schlimmstes Vergehen?«
Sie biss sich auf die Unterlippe und bedauerte, dass sie den Earl offenbar an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hatte.
Er lächelte freudlos und ließ sie los. »Ich bin ein erwachsener Mensch. Deshalb kann ich tun, was ich will. Und offen gestanden, meine Beste, um Anstand schere ich mich schon lange nicht mehr.« Er sprach mit belegter Stimme. »Aber du bist etwas anderes. Verstehst du das, Jane?«
»Das ist nicht fair«, fing sie an.
»Ich kann deine ewigen Widerworte nicht mehr hören.«
»Aber du behandelst mich wie ein Kind.«
»Du bist kein Kind mehr, verdammt. Hast du dich denn nicht im Spiegel gesehen?«, schrie er.
Jane sah ihn schweigend an.
Er ging zu dem Sideboard hinüber und goss sich einen großen Whiskey ein. Jane fühlte sich plötzlich sehr erleichtert. Er stand mit dem Rücken zu ihr. »Nein, ich bin auch kein Kind mehr«, sagte sie leise. »Ich bin siebzehn Jahre alt und eine Frau.«
Er gab ein nicht sehr höfliches Geräusch von sich. »Eine erwachsene Frau bist du zwar noch nicht ganz, aber es fehlt nicht mehr viel.«
Ihre gute Laune war wie weggeblasen. »Ich bin kein Kind mehr. Wann wirst du das endlich begreifen?«
»Wenn du aufhörst, dich wie ein Kind zu benehmen« sagte er rüde.
Tränen brannten in ihren Augen. Jane verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie war zutiefst verletzt. Dann bemerkte sie, dass sein Blick wieder auf ihren Brüsten ruhte. Er sah rasch beiseite, aber nicht schnell genug. Jane stand reglos da und dachte: Sein Reden und sein Handeln stimmen nicht überein. Er weiß ganz genau, dass ich kein Kind mehr bin. Möglich, dass es einfach seine Art ist, andere ständig zu beleidigen. Aber er erkennt ganz genau, dass ich eine Frau bin, sonst hätte er mich nicht so angesehen. Er sieht mich nämlich genauso an wie dieser dumme Rothaarige unten am Bach.
Sie erbebte. Er weiß es ganz genau – er will es nur nicht zugeben.
Er wandte sich wieder in ihre Richtung. »Ich möchte doch nur, dass du eines begreifst: Als junge Frau« – er betonte das Adjektiv – »kannst du nicht ohne Begleitung einfach so hier im Wald herumspazieren. Es gibt heutzutage so viel arbeitsscheues Gesindel. Das ist viel zu gefährlich für dich.«
Sie nickte und konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Endlich hat er begriffen, dass ich kein Kind mehr bin.
»Und wegen heute Nachmittag unten am Bach: Kann ja sein, dass Jimmys Cousin jünger ist als du, trotzdem ist er fast ein Mann. Außerdem ist er größer als du und dazu noch ein Farmer. Man darf diese Leute nicht so verrückt machen, wie du es heute Nachmittag getan hast. Sonst verlieren sie die Kontrolle über sich und vergessen ihre Grenzen. Verstehst du das?«
»Ja.« Sie verstand – sie begriff, dass sie jetzt wenigstens eine Chance hatte.
Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und vermied es, ihre Brüste ein weiteres Mal anzuschauen. »Wir essen um acht Uhr zu Abend.«
Jane holte tief Luft. Dann sollte sie also abends bei Tisch erscheinen? Seit ihrer Ankunft in Dragmore hatte sich die Situation in der Tat von Grund auf verändert. Und das innerhalb weniger Tage. Sie bemühte sich, ihre Zufriedenheit nicht zu zeigen. Und wenn er nun nicht nur erwartete, dass sie bei Tisch erschien, sondern es sogar wünschte? Doch ein Problem gab es natürlich noch. »Und was ist mit Amelia?«, fragte sie.
»Amelia ist abgereist.«
Die beiden sahen sich an: sie ihn mit großen, strahlenden Augen, er sie mit einem zurückgenommenen, schwer deutbaren Blick.
Jane schwebte fast aus dem Raum.
Der Earl machte in seiner schwarzen Hose und der silbernen Weste eine glänzende Figur. Allerdings hatte er sich die Mühe gespart, ein Jackett anzuziehen, was der Bewunderung, mit der Jane ihn betrachtete, keinen Abbruch tat. Als er bemerkte, dass sie ihn intensiv musterte, hörte er auf zu kauen. Jane lächelte: »Du siehst heute Abend sehr attraktiv aus.«
Er verschluckte sich.
Jane sprang auf und klopfte ihm auf den Rücken. Draußen schlugen die Hunde an. Der Earl ergriff sein Wasserglas, während Jane ihm auf den Rücken klopfte. Er verschüttete etwas Wasser.
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