Bragg 04 - Dunkles Verlangen
in seine Richtung und sah ihn verschwörerisch an. »Ich lasse mich doch nicht von ihm vertreiben.«
Gordon gab dem Küchenchef ein Zeichen und verzog dann das Gesicht. »Die beiden gehen«, sagte er zu Jane, die ihren Ehegatten seit jenem ersten Blick nicht mehr angeschaut hatte. »Mach dich darauf gefasst, dass sie hier vorbeikommen.«
Oh, wie Jane den Earl hasste. Mochte ihr Herz auch rasen, sie war fest entschlossen, die Situation mit ihrem eisernen Willen zu meistern. Sie gab sich den Anschein, den beiden ganz zufällig entgegenzublicken.
Der Earl blieb neben ihr stehen, Amelia war hinter ihm. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Hallo, Jane«, sagte er und sah sie an. Sein Blick war von solcher Intensität, dass Jane nicht wegschauen konnte. Er nahm ihre Hand, küsste sie und hielt sie viel länger fest, als die Konvention es geboten hätte. »Wie war die Vorstellung?«
Ach so: jetzt auch noch die Nummer mit dem höflichen Gatten, während er sie öffentlich demütigte. »Das interessiert dich doch ohnehin nicht!«, fauchte sie und sah ihn mit ihren blauen Augen wütend an. Er hielt immer noch ihre Hand. Ein kurzer Versuch, sie ihm zu entziehen, misslang. Sie wusste, dass die anderen Gäste die Szene neugierig verfolgten, und wollte nicht unbeherrscht erscheinen. Deshalb verzichtete sie auf einen weiteren Versuch, ihre Hand zu befreien.
Dann richtete er sich kerzengerade auf, ließ Janes Hand los und zog Amelia weiter. Er nickte Gordon zu. »Wir wollten gerade gehen«, sagte er, sein Gesicht eine undurchdringliche Maske.
Amelia sah Jane mit kaum verhohlener Schadenfreude an. »Ach, hallo, Jane. Was für eine Überraschung. Dass wir uns ausgerechnet hier über den Weg laufen. Tja, die Welt ist klein. Nick will unbedingt, dass wir gehen, obwohl wir noch nicht mal gegessen haben. Warum essen wir eigentlich nicht zusammen?«
Jane wusste nur: Ein gemeinsames Abendessen mit dem Earl und seinem rothaarigen Flittchen würde sie nicht überleben. Wieder errötete sie. Dann fasste der Earl Amelia am Ellbogen und zog sie so unsanft hinter sich her, dass sie wie eine Krähe zu krächzen anfing. Dabei behielt er Jane die ganze Zeit im Auge. Die Intensität, mit der er sie ansah, verwirrte sie. »Gute Nacht«, sagte er. »Wir sehen uns dann später zu Hause.«
»Ach, tatsächlich?«, sagte Jane höhnisch. »Das bezweifle ich.« Sie schnappte nach Luft.
Er sah sie noch einmal an. Dann drehte er sich um und schleppte die schadenfrohe Amelia aus dem Lokal.
»So viel zum Thema Diskretion«, sagte Jane mit einem Schluchzen in der Stimme.
»Jane, bitte lass uns gehen. Noch länger hier zu bleiben, ist doch reiner Masochismus.«
»Nein«, sagte Jane grimmig. »Nein, nein. An einem Ort wird man mich heute Abend ganz sicher nicht sehen: zu Hause.«
Kapitel 36
»Willst du nicht mit hereinkommen?«, sagte Amelia etwas kurzatmig.
»Nein, heute Abend nicht«, sagte der Earl ruhig. Sie standen vor der Eingangstür von Amelias Stadthaus. Seine Kutsche wartete im Licht der Gaslaternen auf dem Kopfsteinpflaster hinter dein schmiedeeisernen Zaun direkt außerhalb des kleinen Gartens.
»Also wirklich, Liebling«, sagte Amelia, schlang ihre Arme um seinen Hals und drängte sich mit ihrem üppigen Körper an ihn. »Sei doch nicht immer so launisch.«
Er machte sich von ihr frei und schob sie von sich weg. »Gute Nacht, Amelia.«
Sie ergriff seine Hand und hielt ihn fest, obwohl er sich bereits zum Gehen wandte. »Willst du ihr etwa treu sein?«, rief sie. Im Schein der Straßenlaternen war zu erkennen, dass sie bleich und verärgert war. Natürlich sprach sie von Jane.
Sein Gesicht nahm einen harten Zug an, und er fasste sie grob am Kinn. »Meine Frau hat damit nichts zu tun.«
»So? Das bezweifle ich aber sehr. Ich glaube, du hast eine Schwäche für sie.«
Der Earl fing an zu lachen, seine weißen Zähne blitzten auf. »Bilde dir bloß nicht ein, dass du mich so in dein Bett locken kannst, Amelia.«
»Möchte ich aber«, sagte sie heiser und streckte schon die Hand aus, um damit in seine Hose zu gleiten.
Er schob ihre Hand unsanft beiseite. »Hast du denn nie etwas anderes im Kopf als das?«
»Gestern Abend bist du auch nicht hereingekommen.«
»Der gut gebaute Zwanzigjährige, dem du zurzeit schöne Augen machst, ist dir sicher gerne zu Diensten, Amelia«, schnurrte der Earl.
»Oooh!« Sie schnappte nach Luft und wich zurück. Es war ihr sichtlich peinlich, dass er ihr auf die Schliche gekommen war.
Er grinste.
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