Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
jeden Hinweis dankbar, der mir die Sonate zurückzubringen verspricht. Ich zweifle nämlich, dass meine Haftpflichtversicherung für den Schaden aufkommen wird.«
»Klar nicht. Ich finde es nur sonderbar, wenn aus dem Nichts ein Flaschengeist auftaucht und märchenhafte Andeutungen macht. So ein Zauber geht mir auf den Geist. Selbstverständlich höre ich ihn mir an. Wann und wo kann ich den Magier denn erreichen?«
»Er wird sich bei Ihnen melden, Herr Feller. Dafür habe ich ihm ja Ihre Koordinaten durchgegeben.«
»Na dann«, sage ich, reibe den Telefonhörer wie Aladins Wunderlampe und beschwöre ihn mit dem Zauberspruch Abrakadabra!
Der Spruch verhallt ungehört. Unerhört. Wie wär es mit Mutabor? Simsalabim? Hokuspokus? Nichts.
Noch am selben Tag meldet sich der Student. Er spricht mit Akzent.
Ich will den Unbekannten nicht bei mir zu Hause empfangen. Darum schlage ich vor, gemeinsam zu Mittag zu essen. Immerhin hat er ja versprochen, relevante Hinweise zu liefern.
Ich habe einen Zweiertisch im Restaurant Dampfschiff unter freiem Himmel reserviert. Als ich mich rechtzeitig auf die Socken mache und dem Quai entlang schlendere, lärmt eine ungewöhnliche Riesenpopulation von Enten und Höckerschwänen auf der Aare. Eine dürre Greisin mit großblumiger Schürze verfüttert trockenes Brot. Die unersättliche Gier der Vögel wirkt beängstigend. Umso mehr, als noch aggressive Lachmöven, freche Spatzen und distanzlose Tauben um Brosamen streiten, die der Tierfreundin zu Boden bröseln. Aber die Alte lässt sich vom Geflügel offensichtlich nicht einschüchtern.
Vor einer illustrierten Schautafel bleibe ich stehen. Hier sind verschiedene Arten von Federvieh abgebildet. Demnach bevölkern Hauben- und Zwergtaucher, Stock-, Reiher- und Tafelenten sowie Blässhühner und Gänsesäger die einheimischen Gewässer.
Die Haubentaucher sind im Sommerkleid unverkennbar. Sie erinnern etwas an Herrn Auf der Maur. Ihr zweigeteilter Schopf wippt nämlich lustig auf und ab. Der rotbraune Backenbart wird bei der Balz eindrücklich gefächert. Ob der Brahmspräsi das ebenfalls schafft, muss offen bleiben. Lustig, dass der rote Bart der Ente im Winter einem weißen Nikolausbart weicht. Bei Auf der Maur stellt das weiße Federkleid ein ganzjähriges Phänomen dar. Die gefiederten Kläuse halten ihre dünnen Hälse senkrecht. Sie geben rohe Laute, ähnlich wie Rentiergebrüll, von sich.
Zwergtaucher seien in der warmen Jahreshälfte am kastanienbraunen Hals und dem leuchtend gelben Fleck im Schnabelwinkel zu erkennen, steht da.
Stockenten, die Stammmütter der Hausenten, kennt jeder. Sie kommen häufig vor und ähneln mit ihrem aufgeplusterten Gefieder meiner früheren Chefin. Wie sie schnattern auch die Enten ohne Unterlass.
Blässhühner und -hähne sind streitsüchtige Gesellen. Häufiger noch als die eigentlichen Taucher verschwinden sie kopfüber in den Wellen. Oder sie laufen als flügelschlagende Superstars wie Jesus Christus im Musical der Seespiele über das Wasser.
Ich mag Enten. Besonders an einer Honigsauce, dekoriert mit hauchdünn geschnittenen Orangenscheiben.
Der Doktorand erscheint pünktlich. Sein Äußeres ist mir bereits vertraut. Er trägt blaue Jeans und ein schwarzes, kurzärmliges Baumwollhemd. Kein Zweifel: Es ist Perkins! Mein Informant entpuppt sich als Auf der Maurs Notenbote. Der Berliner ist auch der Pole.
Mit dem Anflug eines Lächelns streckt er mir seine leichenblasse Hand entgegen.
»Herr Feller, nehme ich an?«, fragt er mit einem eigenartig heiseren Klang in der Stimme. »Darf ich mich vorstellen? Tomasz Wójcik.«
Endlich hat er das Geheimnis seines Namens gelüftet. Falls es der richtige sein sollte.
»Guten Tag, Herr Wójcik. Danke, dass Sie vorbeikommen«, begrüße ich ihn.
»Tu ich doch gerne«, sagt er und macht mit seidigen Wimpern einen unterwürfigen Augenaufschlag. Wójcik wirkt harmlos.
Wie konnte mich dieser nette Mensch an einen irren Hotelier erinnern? Ist dies das Lächeln eines Mörders? Sieht so ein Dieb aus? Er hat im gleißenden Licht der Mittagssonne überhaupt nichts Bedrohliches an sich. Die Sonnenstrahlen glitzern im Wellengang der nahen Seemündung. Ein schöner Ort. Eine spannende Gegend. Besonders im Frühjahr, kurz nach der Schneeschmelze. Darauf treten hier manchmal die Fluten über die Ufer und sorgen in den Weinkellern der Umgebung für einen signifikanten Anstieg des Grundwasserpegels.
Der Chef de Service nimmt die Bestellung persönlich auf. Er
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