Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
haben«, antwortet er.
»Dann los!«, dränge ich. »Suchen wir diese Leute. Hoffen wir, dass sie nicht allzu zahlreich sind. Und dass unseren Komponisten keine Weibergeschichten beflügelten, von denen wir noch nichts wissen.«
Mein Assistent deutet zur Decke, als erwarte er ein himmlisches Zeichen.
»Wo befand sich Brahms Ehefrau eigentlich die ganze Zeit? Warum hat sie ihm nicht etwas die Flügel gestutzt?«, wundere ich mich.
»Brahms blieb meines Wissens unverheiratet«, erwidert Jüre.
»Ergo handelte es sich bei Hermine um eine heimliche Geliebte«, vermute ich.
»Wozu denn heimlich? Wenn er ledig war, hatte er doch nichts zu verbergen. Er musste höchstens aufpassen, dass die zahlreichen Freundinnen nichts von seinen parallelen Liebschaften mitbekamen.«
»Könnte einer, der mit 57 Jahren noch immer allein lebt und zu mehreren verheirateten Frauen gleichzeitig eine platonische Liebe pflegt, nicht einfach schwul sein?«
»Jüre, wir müssen den Kreis der Täterschaft eingrenzen. Nicht Brahms’ Sexualleben auszirkeln. Oder willst du von greisen Mitgliedern der Brahmsgesellschaft mit Rollatoren und Gehstöcken erschlagen werden?«, warne ich.
»Übrigens: Hermine Spies galt zum Zeitpunkt seiner Avancen als Jungfrau«, ergänze ich.
»Woher willst du das wissen?«, zweifelt Jüre.
»Was Brahms’ Aufenthalte am Thunersee betrifft, stellt Hermine ohne Zweifel die Hauptattraktion dar. Für sie reiste der alte Charmeur ins Oberland. Ihr widmete er zweideutige Liedtitel wie ›Komm bald …‹.«
»Du treibst mir die Schamröte ins Gesicht«, witzelt mein Assistent.
»Vermutlich gäbe es ohne die verehrte Altistin keine Thuner-Sonate. Bestimmt suchte man vergeblich nach dem Lied ›Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn‹.«
»Hat Hermine seine Liebesbeteuerungen eigentlich erwidert?«, fragt Jüre.
»Keine Ahnung. Möglich, dass sie sich anfänglich geschmeichelt fühlte und gegen eine Verbindung nichts einzuwenden gehabt hätte. In der Folge realisierte sie aber, dass es Johannes mit den Frauen nie wirklich ernst meinte. Für ihn personifizierte Hermine nur so lange die küssende Muse, als er sich ihrer bedingungslosen Zuneigung nicht ganz sicher sein konnte«, vermute ich.
Jüre stutzt: »Schloss die romantische Episode im Berner Oberland darum ohne Happyend?«
Darauf habe ich keine Antwort. Immerhin weiß ich, wie die Geschichte endete. » Nach drei Jahren geduldigen Wartens verzichtete Hermine definitiv auf Ferien am Thunersee. Sie heiratete kurzentschlossen den Richter Walter Hardtmuth. Der bewies mehr Mut. Sein Pech. Nur ein Jahr nach der Heirat verstarb Hermine als angehende Mutter im Alter von nur 36 Jahren.«
»Was für eine traurige Story«, meint er. »Ob sie den gedankenverlorenen Gesichtsausdruck der Brahmsrösi erklärt?«
»So weit mir bekannt ist, hat sich Hermann Hubacher bei der Schaffung des Werks nicht an die physiognomischen Vorgaben der Sängerin gehalten. Wie weit ihm die Vita der Opernsängerin bekannt war, kann ich nicht abschätzen.«
Jüre nickt. »Jetzt verstehe ich, warum Brahms danach keinen einzigen Wonnemonat mehr am Thunersee verbrachte.«
»Er bevorzugte von da an Baden-Baden als Sommerfrische. Nicht zuletzt wegen den Schumannfrauen.«
»Der ließ schon keine Brahmsröschti anbrennen, der gute Johannes«, kommentiert mein Assistent. Ganz unrecht hat er nicht.
16
»Ich habe mir erlaubt, Ihre Adresse weiterzugeben, Herr Feller«, verkündet Auf der Maur am Telefon.
Großartig, denke ich leicht verärgert. Sollte man mit fremden Daten nicht vorsichtiger umgehen? Ich frage: »An wen denn?«
»Es hat sich bei mir ein Doktorand aus Berlin gemeldet. Er erforscht den Nachlass des deutschen Dirigenten Hans von Bülow.«
»Wie heißt dieser Doktorand?«
»Ähm, wie heißt der nur schon wieder …« Auf der Maur erinnert sich nicht.
»Und was geht uns der Nachlass dieses Dirigenten an?«, will ich wissen.
»Keine Ahnung.«
»Hat er wenigstens angedeutet, worum es sich handelt? Wozu will er sich ausgerechnet mit mir unterhalten? Warum wendet er sich nicht beispielsweise an Sie?«
»Er meinte, dass er Ihnen möglicherweise weiterhelfen könne«, gibt Auf der Maur zur Antwort.
»Weiterhelfen? Wobei? Bei der Beschaffung der Notenblätter etwa?«
»Er hat fast so getönt, ja.«
»Woher sollte er Kenntnis haben, dass sie verschwunden sind? Es stand noch nicht in der Zeitung. Herr Auf der Maur, da stimmt was nicht!«
»Wer weiß? Aber ich bin für
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