Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
Vom Netzwerk:
nicht während der rasanten Talfahrt ereignet. Beispielsweise im Abschnitt zwischen Oberhofen Dorf und Heidehaus. Dort hätte mich ein Sturz womöglich Kopf und Kragen gekostet.
    Die Steigung der letzten Meter vor Bachmanns Grundstück bringt den leistungsschwachen Motor an seine Grenzen. Ich unterstütze ihn durch zusätzliches Pedalen. Gerade noch schaffen wir’s. Die heiße Maschine stelle ich vor ein grau gestrichenes Garagentor. Ich erklimme eine zehn Meter lange, schmale Gartentreppe. Links und rechts wachsen immergrüne Bodendecker, feuerrote Floribundarosen und mannshohe Koniferen.
    Von weitem schon rufe ich: »Hallo, Bernhard?« Falls er in der Gartenhalle sitzen sollte, will ich ihn nicht überraschen. Diese Rücksichtnahme erübrigt sich. Die Halle ist leer. Außer Atem erreiche ich die Haustür. Sie steht spaltweit offen.
    »Bernhard«, rufe ich ins Innere, betätige die Klingel und warte.
    »Bernhard!« Jetzt schon etwas lauter.
    Nichts. Keine Antwort. Sonderbar! Ich wiederhole seinen Vornamen, drücke vorsichtig die verglaste Eingangstür auf und trete ins weiß geflieste Foyer. Wo steckt der Teufelsgeiger? Befindet er sich eventuell hinter dem Haus? Im Keller? Auf dem Estrich? Als Fiedler auf dem Dach? Ich entschließe mich, die fünf Treppenstufen zum Wohnzimmer hochzugehen, um dort auf ihn zu warten. Er kann ja nicht weit weg sein. Sonst wäre das Gebäude verschlossen. Als ich den hellen Ort betrete, werde ich mit rabenschwarzen Tatsachen konfrontiert. Bachmann liegt bewegungslos am Boden. Blut ist in den Ritzen des unversiegelten Parketts versickert. Schockiert bleibe ich stehen. Was hat das zu bedeuten? Ist er tot?

     
    *

     
    Böses ahnend nähere ich mich dem Freund.
    Ich finde die traurige Bestätigung. Für Bernhard Bachmann kommt jeder Notarzt zu spät. Die schmächtige Leiche liegt auf dem Bauch. Der linke Arm weist seitlich zu einer Backsteinmauer. Der rechte Arm liegt unter dem Oberkörper begraben. Die Jacke des braun-grün karierten Homedress ist hochgerutscht und entblößt schneeweiße Lenden. Auf den ersten Blick sind keine Wunden sichtbar. Die vertrocknete Blutlache, die sich unter und neben dem grau-blonden Bubikopf ausgebreitet hat, spricht allerdings eine andere Sprache. Ist der Geiger unglücklich gestürzt? Oder hat ihm jemand den Bogen gegeben?
    Ich schaue mich nach einer allfälligen Tatwaffe um. Eine solche kann ich nirgends finden. Dafür sticht mir neben einer schulterhohen Ficuspflanze ein achtlos hingeschmissener Kartonschuber ins Auge. Es handelt sich um die Schutzhülle der ledernen Aktenmappe. Ich hebe den dunkelblauen Schuber auf. Sind die Notenblätter noch da?
    Jetzt erinnere ich mich an die Sache mit den Fingerabdrücken. Zu spät! Dumm gelaufen. Die Kripo wird mir die Leviten lesen. Ein einziger Blick bestätigt meine schlimmste Befürchtung. Die Thuner-Sonate ist verschwunden!
    Noch wage ich nicht, an all die Schwierigkeiten zu denken, die mir dadurch entstehen werden. Noch habe ich nicht reagiert und den dringenden Anruf bei der Polizei getätigt. Ich öffne die Balkontür und wanke an die frische Luft. Die Sonne übergießt die Pyramide des Niesens mit bleichem Glanz. Der monumentale Berg beschwört den zähnefletschenden Gott des Totenreichs. Wie betäubt starre ich über den See. Danach erst wähle ich die Nummer 117. Ich werde umgehend mit Hauptmann Anton Geissbühler von der Kantonspolizei verbunden. Wir kennen uns von den Ermittlungen im Fall Fulehung, der Thuner Narrenfigur.
    »Guten Tag, Herr Feller«, grüßt er.
    »Von gut kann keine Rede sein, Herr Geissbühler«, werfe ich ein.
    Wenig später sorgt ein Großaufgebot von Beamtinnen und Beamten des kriminaltechnischen Dienstes für Aufsehen im Quartier. Meine Anwesenheit ist hier nicht länger erforderlich. Hauptmann Geissbühler wünscht allerdings, mich noch heute in seinem Büro an der Allmendstraße zu sprechen. Ich trample geschafft die Gartentreppe hinunter und halte nach meinem Moped Ausschau. Die Beamten haben es offenbar umparkiert. Entlang der Straße reihen sich ihre Dienstwagen. Der Platz vor der Garage ist mit Plastikband abgesperrt. Auf dem geteerten Wendeplatz der Nachbarschaft finde ich mein Zweirad wieder.
    Ich starte die Maschine. Auf direktem Weg rase ich ins Seefeld. Auf der Maur muss umgehend informiert werden. Was habe ich ihm versprochen? ›Ich werde die Noten mit allergrößter Vorsicht behandeln und garantiere persönlich für die sichere Aufbewahrung.‹ Jetzt sind sie

Weitere Kostenlose Bücher