Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Thuner-Sonate zu veräußern. Sie haben mich damit beauftragt. So, jetzt wissen Sie Bescheid, Herr Feller. Oder gibt’s noch Unklarheiten?«
»Warum haben Sie das alles nicht auch Herrn Auf der Maur erzählt?«
»Ich sehe ja ein, dass ich die Situation etwas falsch eingeschätzt habe. Aber ich habe nicht erwartet, bei ihm auf Misstrauen zu stoßen, nur weil ich Pole bin.«
»Ich glaube, es war mehr Ihre Zurückhaltung bei der Preisgabe Ihrer Identität, als Ihre Nationalität, die ihn verunsichert hat«, verteidige ich meinen Arbeitgeber.
Wir leeren darauf unsere weißen Martinis. Der Chef de Service schöpft eine sämige Karottensuppe. Anschließend schaben wir an Lammkoteletts. Wir lassen uns dazu das Kartoffelgratin mit gedämpften Lauchrädchen und fein gewürfeltem Sellerie schmecken.
Bei der süßen Erdbeerquarkcreme erinnert mich Wójcik an eine bittere Tatsache: »Offenbar sind Ihnen die Notenblätter abhanden gekommen, Herr Feller?«
»Ähm. Nun ja, es stimmt schon, dass ich momentan den Überblick verloren habe«, räume ich ein.
»Sie untertreiben«, rügt der Doktorand und lächelt milde. »Ein Mann ist zu Tode gekommen und die Manuskripte sind gestohlen worden.«
»Das trifft leider beides zu«, gestehe ich. »Von wem haben Sie es erfahren?«
»Von Herrn Auf der Maur. Sonst kenne ich hier ja keinen.«
Ich nehme an, dass beides der Wahrheit entspricht. Ich ärgere mich über den Brahmspräsidenten. Wozu muss er das herumerzählen? Warum hat er mich der Chance beraubt, das Vermisste wiederzubeschaffen, bevor der Diebstahl publik wird? Jedenfalls erschwert Auf der Maurs Vorgehen meine Arbeit. Jetzt sehe ich mich von meinem Gast sogar in die Rolle des Büßers versetzt. Das missfällt mir eindeutig. Darum starte ich einen gezielten Gegenangriff.
»Ja, und Sie, Herr Wójcik? So viel ich weiß, werden Sie doch von der Polizei gesucht«, fahre ich ihn an. »Warum hat man Sie eigentlich nicht längst erreichen können? Wo haben Sie sich in den letzten Tagen denn aufgehalten?«
Der junge Mann gibt sich überrascht. »Was? Von der Polizei gesucht? Warum denn das?« Erst durchfährt seine linke Gesichtshälfte ein Zucken. Danach hebt er die Schultern und meint abschätzig: »Pah. Kein Problem. Ich werde mich gleich nach dem Essen bei den Behörden melden. Seien Sie beruhigt, Herr Feller. Dass ich nicht gefunden wurde, liegt daran, dass ich ein Bed-and-Breakfast-Angebot gebucht habe. Ich bin privat untergebracht.«
Das lasse ich gelten. »Also, jetzt heraus mit der Sprache! Was haben Sie mir mitzuteilen?«
Wójcik zeigt ein vielsagendes Lächeln. Danach wischt er die Finger an der Serviette ab. Er öffnet das Hemd um einen weiteren Knopf, als unterstriche das Offenheit und Ehrlichkeit. »Ich will Ihnen helfen, die Noten wiederzubeschaffen.«
»Warum wollen Sie das für mich tun?«
»Aber das versteht sich doch von selbst. Weil ich den von Bülows gegenüber die Verantwortung für das Manuskript trage.«
»Wie gedenken Sie mich zu unterstützen?«, frage ich.
»Mir sind all die Menschen und Institutionen bekannt, die sich grundsätzlich um die Sonate bemühen. Es ist möglich, dass dem einen oder anderen Interessenten inzwischen die gestohlenen Noten begegnet sind. Darum ist es von entscheidender Bedeutung, jetzt die relevanten Kontakte zu knüpfen.«
»Einverstanden. Das sind aber eher allgemeine Überlegungen. Wie lautet Ihr konkreter Hinweis?«
Er beschwichtigt mit einem Handzeichen, als wollte er einen Automobilisten zu gedrosseltem Tempo bewegen. »Herr Feller, Sie könnten das Gesuchte möglicherweise in Baden-Baden wiederfinden.«
Das leuchtet mir nicht ein. »Warum dort?«
»Weil die dortige Brahmsgesellschaft alles daran setzt, neue Besitzerin der Partitur zu werden.«
»Was heißt das? Alles?«
»Ich will damit nur andeuten, dass sich der Präsident der Gesellschaft sehr um die Papiere bemüht«, präzisiert der Doktorand.
»Sie sprechen von Herrn Hase?«
»Exakt. Ich kann Ihnen aber verraten, dass Thun, Krakau und Leipzig wohl ebenfalls Angebote unterbreiten würden, sollten die Blätter wieder auftauchen. Dem Endpreis würde Konkurrenz nur gut tun.«
»Ja, aber Sie wissen selbst, dass das Autograf nicht mehr zur Verfügung steht.«
Der Doktorand hebt die Arme. »Dumm gelaufen. Vor allem für Herrn Auf der Maur.« Wójciks Ausdruck verfinstert sich. Im Tonfall eines verzweifelten Teenagers presst er seine Forderung heraus. »Der Präsident wird dafür gerade stehen müssen. Ihm
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