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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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Vereinbarung. Dann los! Die nahe Kirchturmglocke hat längst die volle Stunde geschlagen.
    Weil das Haus an den Hang gebaut ist, befindet sich der Eingang auf der Höhe des ersten Stockwerks. Das Museum mit den beiden Mansardenzimmern, die Brahms bewohnte, liegt unter dem spitzen Satteldach. Er soll die einfache Wohnung bei der Advokatenwitwe Clara Becker gemietet haben, um in Clara Schumanns Nähe zu leben. Sie hatte sich zuvor in der Oosstadt ein Häuschen gekauft.
    Ich betätige eine elektrische Klingel. Nichts geschieht. Das Museum wirkt ausgestorben. Zur Rechten fällt ein altertümlicher Glockenzug über einem Messingschild ins Auge: Bitte ziehen . Bitte weiterziehen? Unverrichteter Dinge? Keinesfalls! Ich werde hoffentlich seit einer Viertelstunde von Meister Lampe erwartet.
    Tatsächlich öffnet sich jetzt die Eingangspforte einen Spaltbreit. Eine gepflegte Dame im kanariengelben Pullover macht mich darauf aufmerksam, dass das Museum geschlossen sei. Wie übrigens jeden Donnerstag.
    Um Öffnungszeiten habe ich mich nicht gekümmert. Schließlich habe ich ein Rendezvous. Davon will sie aber nichts wissen.
    »Wenn Doktor Hase einen Termin hätte, wüsste ich das. Ich bin die Geschäftsführerin der Brahmsgesellschaft, Zauner«, verrät sie mir.
    »Freut mich, Frau Zauner«, antworte ich. »Herr Hase sollte mich längst erwarten.«
    »Kaum. Unser Präsident ist heute gar nicht anwesend.«
    Mir fällt auf, dass ich in dieser Stadt bereits zum zweiten Mal nicht erwartet werde. »Das enttäuscht mich. Vor Tagen habe ich per Mail eine Verabredung fixiert. Heute bin ich extra aus der Schweiz angereist. Liegt hier allenfalls ein Missverständnis vor? Könnten Sie nicht versuchen, Herrn Hase telefonisch zu erreichen?«, frage ich.
    »Hören Sie, Herr …«
    »… Feller«, sage ich.
    »Herr Feller. Ich stecke mitten in den Vorbereitungen zu den Brahmstagen. Haben Sie Verständnis, dass ich mich nicht um Ihr Anliegen kümmern kann«, wehrt sie ab.
    Ich insistiere: »Ein kurzer Anruf sollte doch drin sein. Sonst geben Sie mir seine Nummer. Ich vertrete immerhin die Thuner Brahmsgesellschaft und reise im Auftrag ihres Präsidenten, Herrn Professor Auf der Maur.« Den Professor habe ich ihm spontan verliehen, in der Hoffnung, damit Eindruck zu schinden.
    Es funktioniert. Frau Zauner renkt ein. »So treten Sie halt mal ein. Schauen Sie sich im Museum um. Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, Doktor Hase zu erreichen.«
    Ich könnte ihr um den Hals fallen. »Danke sehr. Das ist wirklich freundlich von Ihnen.«
    Über ein paar Treppenstufen steige ich ins Dachgeschoss. Dort liegt allerlei Werbematerial auf einem Tischchen. Ich überfliege den Text des obersten Prospekts: Begrüßungscocktail in der Belétage des Kurhauses, Mitgliederversammlung in Brenners Parkhotel. Fünf Konzerte, darunter die Lichtentaler Sinfonie Nr. 2 in D-Dur. Das Programm und eine schöne Broschüre zum 40-jährigen Bestehen der Brahmsgesellschaft lassen vermuten, dass es ihr finanziell gut geht. Ich zweifle nicht daran, dass die Gesellschaft auch über die Mittel verfügt, die Thuner-Sonate zu erstehen. Das belegt zudem eine teure Plakatkampagne mit dem Konterfei des jungen Komponisten. Brahms in Baden-Baden. ›Manche glückliche Stunde habe ich da verlebt und manche hübsche Note geschrieben, traurig und lustig …‹, wird er zitiert.
    Auf mein Glück warte ich noch. Hoffentlich kommt das Treffen zu Stande. Ich betrete Brahms’ blau tapeziertes Arbeitszimmer. Es erscheint mir überraschend eng und niedrig. Hier wird ausgewähltes Mobiliar der damaligen Zeit ausgestellt. Ein blank polierter Sekretär, ein Schreibtisch, eine Chaiselongue und ein schmales Klavier. Neben dem Instrument steht eine schwere Bronzebüste des bärtigen Künstlers auf einem dünnbeinigen Schemel. Die Wände voller Bilder, Porträts aus allen Epochen. Sie belegen eine Metamorphose: Vom gutaussehenden Jüngling zum fetten Bartli. Die Schlafkammer daneben ist noch beengender. Ein schmales, kurzes Bett mit großblumigem Überwurf relativiert den privilegierten Lebensstil des berühmten Komponisten. An der niederen Wand über dem Kopfende des Bettgestells hängt eine Karikatur, die den weißhaarigen Brahms am Flügel zeigt: Molto furioso! Am Fußende lädt eine Bronzebüste Clara Schumanns zu Spekulationen ein. Was hat sie in Johannes’ Schlafgemach verloren?
    Von unten ist Frau Zauners frohe Ankündigung zu vernehmen: »Er ist unterwegs!«
    Hoffentlich meint sie Herrn

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