Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Resignierte die Stadt auf der Suche nach einem passenderen Standort? Weiter oben erhebt sich die Stiftskirche Liebfrauen. Dahinter ragen auf dünnen Stelzen drei rotgebrannte Amphoren über die Dächer. Kunst im öffentlichen Raum. Ein Hängegleiter segelt am Himmel, direkt in der optischen Verlängerung der Krüge. In einen davon droht er nächstens zu verschwinden, wie eine kleine Fledermaus in einen Vorratstopf.
Linkerhand befindet sich ein altes Badehaus. Dort ist der Dampf längst entwichen. Heute dient es als Museum. Ich besuche die Ausstellung des einheimischen Genre- und Landschaftmalers Victor Puhonny. Eine verschneite Ansicht von Lichtental hat es mir besonders angetan. Das Brahmshaus kann ich darauf allerdings nicht lokalisieren.
*
Nach so viel gepinselter Natur zieht es mich wieder nach draußen.
Unmittelbar hinter dem Museum liegt eine terrassierte Gartenanlage, die als Florentinerberg bezeichnet wird. Ein botanisches Kleinod. Die üppige, mediterrane Vegetation duftet nach Ferien an der Côte d’Azur. Ich erklimme die vielen Treppen Richtung Schloss. Zwischen Dattelpalmen, Feigenbäumen, Pinien und Zypressen hindurch bieten sich mir herrliche Ausblicke auf die Altstadt. Das außergewöhnliche Kleinklima wird seit dem 17. Jahrhundert für den Anbau von Wein und Zitrusfrüchten genutzt. Die Thermalquellen, die am Fuß des Hangs entspringen, versehen den Terrassengarten zusätzlich mit einer Bodenheizung.
Auf der Sitzbank zwischen mannshohen Kameliensträuchern flegeln zwei versiffte Säufer. Sie scheinen von meiner Ankunft keine Notiz zu nehmen. Ich umgehe die beiden und setze meine botanischen Erkundungen in einem dichten Bambushain fort.
Irgendwann beschließe ich den Abstieg zum Marktplatz. Ich durchstreife sorglos die Kameliensträucher. Das ist mein Pech. Bevor ich nämlich begreife, was hier abgeht, hat sich mir ein Trinker in den Weg gepflanzt. Der andere verunmöglicht mir den Rückzug. Ich stecke in der Klemme, zwischen zwei Bierfahnen.
»Eh, Süßer, rück raus!«, kläfft mich der Vordermann an.
Ich suche keinen Streit, denke an die heile Haut und verzichte ungern auf meine unversehrten Schneidezähne. Gehorsam angle ich nach Münzen.
»Nö, is’ nich’ alles, ode’?«, wird reklamiert. Hinter mir grunzt der andere: »Gib alles!«
Stimmen nähern sich. Werden die Banditen gleich von mir ablassen und fliehen? Kommen mir anrückende Touristen zu Hilfe?
Die Alkis drängen mich in die Sackgasse einer engen Terrasse unter exotisches Astwerk. Auf der einen Seite verhindert ein eiserner Gitterzaun jegliches Entkommen. Hangabwärts versperrt mir eine überwucherte Trockenmauer den Fluchtweg. Was soll ich tun? Abwarten, bis Hilfe eintrifft? Ich flehe diesen Moment herbei. Als er da ist, macht sich an Stelle von Erleichterung Verzweiflung breit.
Unbeschwert wandert eine vierköpfige Familie mit Kleinkindern um die Ecke. Ich kann nicht riskieren, diese braven Leutchen in ein Handgemenge mit ungewissem Ausgang zu verwickeln. Das Familienoberhaupt schaut zwar fragend zu mir herüber. Ich hoffe aber, dass er sich nicht einmischt . Ich verhalte mich darum ruhig. Mit einem erzwungenen Grinsen suche ich Normalität vorzugaukeln. Gleichzeitig flehe ich innerlich darum, dass der Papa meine verzweifelte Lage erkennt . Er soll Hilfe organisieren! Hat er verstanden? Wird er gleich sein Handy zur Hand nehmen? Ruft er die Polizei? Werde ich gerettet?
Die Mutter der Kinder meint im Vorbeigehen: »Chömet Ching, göht!«
Landsleute sogar! Aber was hilft es mir? Die Schweizer Familie verschwindet plaudernd über die steile Treppe.
Jetzt brüllt mich der vordere Kerl an: »Los, du Idiot!« Er schlägt der Bierflasche den Boden weg. Mit dieser Waffe bedroht er mich, die messerscharfe Bruchstelle an meiner Gurgel. Das macht Eindruck. Ich klaube das restliche Geld aus den Taschen.
»Also. Warum nich’ gleich so?«, dröhnt der hintere und versetzt mir unnötigerweise eine Kopfnuss.
Ich zucke zusammen. Mit der einen Hand halte ich mir den malträtierten Schädel. Das finden die beiden lustig. Mir fällt es schwer, ihren Sinn für Humor zu teilen. Immerhin lassen sie mich endlich entwischen. Ich stürze den Florentinerberg hinunter, ohne mich ein einziges Mal umzublicken. Den Sturmlauf stoppe ich erst vor dem Seiteneingang der Liebfrauenkirche.
Schwer atmend betrete ich das Gotteshaus. Ich setze mich erschöpft auf eine der hinteren Holzbänke. Wie ein seekranker Leichtmatrose erhole ich mich
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