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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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Antwort.
    Herr Hase mustert mich. Ich habe gerade nicht hingehört. Wie lautet seine letzte Bemerkung? Peinlich.
    Rasch stelle ich darum eine Gegenfrage: »Seit wann gibt es Brahmsgesellschaften?«
    Er lächelt überlegen. Da weiß er Bescheid. »Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Berlin die erste deutsche Brahmsgesellschaft gegründet. 1943 verbrannten ihr nachfolgend sämtliche Unterlagen beim Simrock-Verlag in Leipzig.«
    »Das verstehe ich jetzt nicht. Was machten die Berliner Papiere in Leipzig?«
    »Sie kennen Simrock?«, will Hase wissen.
    »Ja. Brahms’ Verleger, nicht wahr?«
    »Richtig. Nun, vielleicht versuchte er während des Krieges die Unterlagen nach Leipzig in Sicherheit zu bringen. Sie sind jedenfalls für immer verloren.1945 wurde die Berliner Gesellschaft aufgelöst. Erst 20 Jahre später haben wir sie hier wieder gegründet.«
    Die Sache mit Simrock könnte sich als bedeutsam erweisen. Er war der Verleger der Thuner-Sonate. Ihm hat Brahms damals die Handschrift gesandt. Bisher habe ich angenommen, dass der einzig erhaltene Satz in Krakau aus dessen Besitz stammte. Jetzt zweifle ich. Wurde das Notenheft in Leipzig zusammen mit den Unterlagen der ersten Brahmsgesellschaft ein Raub der Flammen? Aber woher stammte der erste Satz dann? Stellen die Thuner Papiere wirklich die Ergänzung zum Krakauer Manuskript dar? Erneut erwacht die Befürchtung, dass die Geschichte der wundersamen Auferstehung der himmlischen Noten auf raffiniertem Kalkül habgieriger Fälscher basiert.
    Herr Hase fährt fort: »In den 70er-Jahren wurde übrigens noch eine weitere Brahmsgesellschaft gegründet. In Hamburg, der Geburtsstadt Brahms’. Und meines Wissens soll es auch in den USA und in Japan noch Brahmsgesellschaften geben. Bisher haben wir mit ihnen keinen Austausch gepflegt.«
    Das will ich gar nicht wissen. Ich frage mich nur, ob Herr Hase den Austausch mit den Notendieben pflegt. Nichts hat bisher darauf hingewiesen. Wie ist Wójcik überhaupt darauf gekommen, die Badener Brahmsgesellschaft zu verdächtigen? Will er mich an der Nase herumführen? Oder hoppelt der Hase hinter den Ereignissen her? Ist ihm das Diebesgut noch gar nicht angeboten worden? Wer hat eigentlich vorhin unten an der Tür genervt? Hätte Frau Zauner den unerwarteten Besuch aus der Schweiz besser vorgelassen? Wer war die Landsmännin? Eine veritable Landfrau? Jetzt werde ich es wohl nie erfahren.
    Falls Herr Hase tatsächlich bereits Besitzer der Brahmsschrift wäre, hätte er sich vermutlich etwas anmerken lassen. Ein Angsthase wie er könnte mich nicht täuschen. Andererseits habe ich Mirós Murmeltier die Femme auch nicht angesehen. Muss man bei Nagetieren besonders vorsichtig sein?
    Trotz gewisser Zweifel werte ich unser Gespräch mehrheitlich als Erfolg. Zwei Dinge sind mir nämlich klar geworden: Doktor Hase scheut das finanzielle Engagement und Risiko im Namen der Gesellschaft. Zweitens: Er zählt auf die Großzügigkeit seiner Gönner. Baden-Baden wartet noch auf die Sonate. Genau wie Thun. Wem bringt Geduld schneller Rosen? Der Brahmsrösi?

21
    Mit dem öffentlichen Bus möchte ich zur Stadtmitte zurückfahren.
    Leider fehlt mir Kleingeld für eine Fahrkarte. Über dem Schlitz des Noteneinzugs leuchtet der Hinweis: Außer Betrieb. Offenbar eine Lieblingsformulierung der städtischen Busbetriebe. Keiner da, der mir aushelfen könnte. Unentschlossen folge ich dem Gehsteig. Nach kurzer Zeit erblicke ich bereits die nächste Haltestelle. Dahinter steht ein Kiosk. Ich erstehe mir eine Cola, um zu Münzen zu kommen. Dafür fehlt hier ein Billettautomat. Ich warte dennoch auf den Bus. Im Wagen kann ich kurz darauf eine Karte lösen. Entspannt setzte ich mich auf den einzigen freien Sitz. An der Fahrzeugdecke lese ich, dass man sein Ticket umgehend zu entwerten habe. Ich befürchte, mit gültigem aber ungestempeltem Fahrschein in eine Kontrolle zu geraten. Sofort springe ich auf. Das Unabdingbare wird erledigt. Ebenso rasch wird hinter mir mein Platz besetzt. Bitte sehr. Gern geschehen!
    Beim Leopoldplatz steige ich aus. Ich schlendere die Lange Straße hinunter. Im Eiscafé Pierrot gönne ich mir einen Eisbecher mit Mandellikör. Meine eigentliche Mission in Baden-Württemberg ist erfüllt. Von jetzt an will ich den Aufenthalt nur noch genießen. Entspannt bummle ich zum Jesuitenplatz, steige zwischen dem Bürgerbüro und einer Buchhandlung eine steile Treppe hoch. Eine überproportionierte Bismarckfigur dominiert im engen Aufstieg.

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