Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
der Trinkhalle betrunken, noch im Casino ruiniert haben, wartet im Manufaktur-Pavillon eine weitere Versuchung: Die zuckrigen Petits Fours der Konditorei Rumpelmayer, für zwei Euro zehn. Pro Stück? Auf winzigen Kuchenstücken kleben riesige Schokoladenklunker wie Mottenkugeln.
Ich schaue auf die Uhr. Bis zur Begegnung im Brahmshaus bleibt jede Menge Zeit. Ich schlendere darum einem weißen Bau entgegen, dem Museum Frieder Burda. Von weitem grüßt ein Murmeltier. Mit zwei gurkenförmigen Ärmchen winkt das putzige Wesen den Passanten. Oder möchte es Hilfe herbeiholen? Ein Loch im Bauch und ein Schlitz in der Brust lassen Zweifel an seinem Wohlbefinden aufkommen. Solche Löcher sind mir als Hungergefühl vertraut. Nur habe ich mir bisher keinen Schranz dazu gelacht.
Joan Mirós Bronzefigur trägt einen querformatigen Kopf mit lachendem Gesicht. Der hochgestellte Mund markiert an Stelle eines üblichen U-smile ein gewöhnungsbedürftiges C-Lachen. Das fremde Wesen staunt mit nur einem Auge. Eine Knolle ergänzt es, als könnte das Murmeltier durch die Nase sehen. Oder gilt stattdessen die halbmondförmige Augenbraue als zweites Lugerchen?
Von hinten überrascht die surreale Figur mit einem tiefsitzenden Stummelschwänzchen. Meine Verwunderung gipfelt im Titel der Plastik: Er lautet kurz und bündig ›Femme‹. Ich nehme mir vor, am nächsten Tag das Museum von innen zu erkunden, auf weitere surreale Begegnungen gefasst.
Ein paar 100 Meter weiter entdecke ich ein hölzernes, achteckiges Taubenhaus. Auf hohem Mast reihen sich wabenförmige Verschläge in fünf Etagen. Unter spitzem Schindeldach gurrt Gefieder.
Auf Höhe Bertholdstraße wird ein Häuschen von ganz andern Vögeln umschwärmt. In der öffentlichen Toilette gehen Männer ein und aus. Das Turteln der grauen Täuberiche konzentriert sich auf die Damentoilette. Ein gepflegter Rentner verlässt soeben den Bau. Der alte Lustmolch verdrückt sich beschämt zwischen grünen Mülltonnen auf den nahen Parkplatz. Dort steigt er in einen schwarzen Mercedes der S-Reihe.
Ich spaziere weiter.
Da nähert sich der dunkle Wagen im Schritttempo. Ungute Erinnerungen an Krakau werden wach. Ich versuche rückwärts zu äugen, ohne den Kopf dabei merkbar zu drehen. Ein kleines Kunststück. Dem Murmeltier würd’s vermutlich gelingen. In dem Moment überholt die Edelkutsche.
Ich trete zur Seite. Auf dem Nummernschild ist zu lesen, was ich vermutet habe: BAD, very bad, der Vogel! Selbstverständlich ist mir nicht entgangen, dass auch all die andern badischen Mobilisten mit dieser diskriminierenden Bezeichnung gebrandmarkt sind. Kratzt das mit der Zeit nicht am Selbstwertgefühl?
*
Linkerhand liegen ziegelrote Tennisplätze brach.
Trotz angenehm trockenem Wetter verzichten sämtliche Aktivmitglieder des Tennisclubs auf ein Match. Nur im Barbereich ist menschliches Leben nachweisbar. Ich will niemandem Vorwürfe machen. Meine Fitnessgeräte verstauben in Thun unter dem Bett. Für aufschlussreich halte ich die Bandenwerbung um die Tennisplätze herum. Grüne Bänder verkünden folgende Botschaften: ›Leben, so wie ich es will. Kuratorium wohnen im Alter. Wenn’s um Geld geht.‹
Vor mir geht ein Rentnerpaar. Das Zielpublikum des Kuratoriums. Plötzlich bleiben die beiden stehen, so wie sie es wollen und lassen mir den Vortritt. Danach erst erkenne ich den Grund ihres abrupten Marschhalts. Leider zu spät. Ein großer schwarzer Hund stürmt auf uns zu. Ein Vierbeiner der verbotenen Rassen. Wer hat die Bestie auf uns gehetzt? Mir gefriert das Blut wie der Saft eines tiefgekühlten Sonntagsbratens. Mit ihrem geschickten Manöver präsentieren mich die Alten dem Raubtier als Hauptgang. Es gibt keine Möglichkeit, rechtzeitig von der Menükarte zu verduften. Wie soll ich reagieren?
Demonstrativ wende ich den Kopf und blicke nach rechts, als beeindruckte mich der Sturmlauf des vierbeinigen Monsters nicht im Geringsten. So ließen einen aggressive Tiere in Ruhe, habe ich mal irgendwo gelesen. Weiß das der Hund?
Tatsächlich kümmert sich der blutrünstige Köter nicht um einen eingeschüchterten Tellensohn. Stattdessen umkreist das aufgeregte Tier die beiden Alten. Geschieht ihnen recht. Vielleicht will es nur spielen. Aber wie heißt sein Spiel? Wadenbeißerlis? Fresserlis? Mörderlis?
Ich lächle den beiden Rentnern ermutigend zu. Und haue ab. Kurz darauf prescht der Köter erneut vorbei und stürmt voraus. Dort bellt er schließlich sein Herrchen an. Das sitzt
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