Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
100 Meter weiter vorn seelenruhig auf einer schattigen Parkbank und amüsiert sich köstlich. Hund und Meister wedeln vor Vergnügen um die Wette. Der Vierbeiner mit seiner kräftigen Rute. Der Zweibeiner mit einem Tannenzweig. Ein besorgter Blick zurück überzeugt mich vom Überleben des Rentnerpaars. Offenbar bevorzugt die Bestie Hundefutter.
Kurz darauf tröstet ein gemeißelter Sinnspruch am Wegrand: ›Harmonie ist die Weltformel, die zugleich als optimale Lebensformel Sinnerfüllung und Orientierung gibt . ‹
Nach dem unharmonischen Derby mit dem geifernden Köter genau das Richtige. Die Inschrift allein bringt mich allerdings dem Zustand der inneren Harmonie nicht wesentlich näher. Da gebe ich dem Harmonie-Museum schon größere Chancen. Es muss sich ganz in der Nähe befinden. Ein arg verbogenes Metallschild weist den Weg. Hier haben Vandalen den Harmoniebegriff umformuliert. Die sind offensichtlich nicht nur in Thun eine Plage. Ich steige eine Treppe hoch, die an einem bewaldeten Hang liegt. Auf halbem Weg verhindern gleich zwei Tore Sinnerfüllung und Orientierung. Ein Metallgitter ist mit einem gummierten Stahlseil umwickelt. Vor dem andern Tor hängt eine Messingplakette mit dem Hinweis, dass an ein Weiterkommen nicht zu denken sei: Kein Durchgang!
Enttäuscht und ratlos suche ich nach einer Erklärung. Die finde ich auf dem verblichenen Zettel in einem Glaskasten. Darauf ist die Abbildung einer antikisierenden Götterstatue sowie der Hinweis zu sehen, dass Harmonie ausschließlich am ersten Sonntag des Monats als Weltformel zu erfahren sei. Für jeweils drei Stunden. Reduzieren findige Stiftungsräte den Stiftungszweck der öffentlichen Nutzung auf das absolute Minimum, um vom maximalen Nutzen der Steuerbefreiung zu profitieren? Die Antwort wäre allenfalls im Gebäude zu erfahren, das wie ein griechischer Palast über dem Tal thront.
20
Endlich! Die Cistercienserinnen-Abtei Lichtental.
Falls hier Nonnen hausen, tun sie es dicht am Wasser der Oos, zusammen mit einem mürrischen Hauswart. Der wischt mit einem groben Reisbesen die Einfahrt. Feindselig mustert er mich, als ich kurz stehen bleibe, um mich bei ihm nach dem Museum zu erkundigen. Sein abweisendes Gebaren erweckt den Eindruck eines Haremswächters. Ich verzichte darauf, ihn anzusprechen. Zudem erspähe ich jetzt einen Wegweiser. Darauf steht in braunen Lettern deutlich lesbar ›Brahmshaus‹ geschrieben. Ein fetter Pfeil markiert den Weg dorthin. Er bildet einen rechten Winkel, der nach oben rechts weist. Alles klar. Man gehe folglich zuerst geradeaus, um danach nach rechts abzubiegen. Kinderleicht. Versteht jeder. Vorerst verunmöglicht allerdings noch die Klostermauer das Abbiegen. Ich folge ihr. Sie nimmt kein Ende. Als die Mauer längst hinter mir liegt, stehe ich bereits mitten im Dorf. Orientierungslos. Wo erhebt sich der verflixte Hügel? Ich gehe weiter. Hoffnungsvoll nähere ich mich einer mickrigen Anhöhe, die sich jetzt links von mir erhebt. Ist der irreführende Wegweiser am Kloster ein Werk des Haremswächters?
Die Zeit rennt mir davon. Bereits seit zehn Minuten sollte ich bei Herrn Hase erschienen sein. Es passt mir absolut nicht, ihn bei unserer ersten Unterredung warten zu lassen. Pünktlichkeit bleibt in meinen Augen eine fundamentale Tugend. Mit der präzisen Uhr am Handgelenk entfällt eine glaubwürdige Ausrede. Glücklicherweise steht erneut ein Wegweiser am Straßenrand. Dieses Mal weist er nach links. Ich folge ihm vertrauensvoll und lande prompt im Hinterhof eines kobaltblauen Neubaus. Hier gibt es kein Durchkommen. Immerhin glaube ich endlich die Fassade des Museums erspäht zu haben. Nach weiteren 50 Metern treffe ich an der Maximilianstraße auf die Werbetafel der Brahmsgesellschaft e. V.
Erwartungsvoll blicke ich zu einem 200 Jahre alten Gebäude hoch. Ein herziges Häuschen steht auf einem schnuckligen Högerli. Eine schmale Treppe führt durch einen steilen Garten voller Stiefmütterchen. Die Fassade des Baus ist mit weißen Schindeln bedeckt, im typischen Stil der Schwarzwälder Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts. Hell gestrichene Fensterläden verstärken den freundlichen Eindruck. Ein lauschiger Balkon liegt seitlich im Schatten hoher Tannen.
An der Hauswand prangt eine Schrifttafel: Sommerwohnung 1865–1874 . Dabei ein fast ausradierter Pfeil mit dem schwer lesbaren Text: Eingang Museum. Man zweifelt. Weiter sind die Öffnungszeiten und der Hinweis vermerkt: Außerhalb dieser Zeiten telefonische
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