Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Totenstille. Ein ernsthafter Bademeister wickelt mich auf einem hohen Schragen wortlos in vorgewärmte Tücher und Decken. Wie verpuppte Seidenraupen liegen die Kurgäste der konkaven Wand entlang. Arme und Beine stecken bewegungsunfähig im Kokon. Ich ergebe mich der Nachwirkung des Thermalwassers und döse vor mich hin. Die heilsame Kur befreit unheilsame Gedanken. Wäre es nicht ein Kinderspiel, mir jetzt ein Kissen aufs Gesicht zu drücken, um mich lautlos zu ersticken? Falls ich je selbst einen Mord planen sollte, stünde der Ruheraum des Friedrichsbads ganz oben in der Merkliste der idealen Tatorte. Ob meine ehemalige Chefin, die Progyrektorin Lilo Barben-Bigler ab und zu in der Bäderstadt weilt? Aber möchte ich ihr tatsächlich im Bad begegnen? Sie splitternackt und mit rasierter Scham, womöglich? Diese grauenhafte Vorstellung beendet meine Unruhephase. Wenigstens für das eine Mal verhindert sie die mörderische Gedankentat.
Mit weichen Knien und schwammiger Haut verlasse ich das Thermalbad. Unter den roten Sonnenstoren auf Leos Terrasse bestelle ich einen Cappuccino. In lackierten Korbstühlen räkelt sich die internationale Kundschaft. Ich freue mich auf ein Konzert im Festspielhaus. Auf dem Gehsteig dorthin gefährden mich wiederholt Radfahrer mit ihrer rücksichtslosen Fahrweise. Wer kam im zuständigen Amt auf die sonderbare Idee, Velos auf den Gehsteig zu verweisen? Und warum parken Autos auf der Straße, direkt daneben? Daneben finde ich das. Das, sowie die Tatsache, dass Taxis ungeniert in der autofreien Fußgängerzone herumkurven.
Ansonsten lässt es sich in der Bäderstadt aber ungeniert leben. Das größte Kompliment verdient zweifellos die Stadtgärtnerei für die Pflege der blühenden Pracht allüberall.
Nach dem herzerwärmenden Gesang blau uniformierter Sängerknaben im Festspielhaus locken die Lokale der Altstadt. In einer Touristenfallen am Jesuitenplatz verzehre ich Truten-Tournedos an Kräutersauce mit Duchessekartoffeln, Pfälzern und Erbsen. Birnenkompott mit Schokoladenstreuseln rundet das bodenständige Mal ab. Es fehlt mir an nichts. Kulinarisch gesehen. Ich vermisse nur die Gesellschaft von Ellen. Schade, sie ist bereits abgereist. Dem Hochgefühl der gesättigten Wampe weicht Wehmut. Deprimiert stelle ich fest, dass die Nacht in wehendem Galopp einbricht. Ihr schwarzer Umhang bläht sich im Wind. Die Lichter der Stadt stäuben wie Funken unter ihren Hufen.
Am nächsten Morgen erlebe ich eine böse Überraschung. Als ich die Hotelrechnung mit der Kreditkarte begleichen will, wird diese vom Gerät abgelehnt. Mein Kredit sei ausgeschöpft. Wie ist das möglich? Ich kann mich nicht erinnern, die Karte diesen Monat überhaupt schon benutzt zu haben. Ich ahne Ungemach und bereue, vor der Reise gutgläubig Kartennummer und Kontrollzahl auf der Internetseite der Hotelreservation eingegeben zu haben. Wie konnte ich so unvorsichtig sein? Nach einem Rückruf bei der Kartenfirma funktioniert sie wieder. Sofort danach lasse ich die Karte aber definitiv sperren. Das Geld ist trotzdem weg, bis zum Limit. Wird sich der Master kulant zeigen?
Zeitig verlasse ich das Hotel am Festspielhaus. Auch heute überzeugt prächtiges Wetter. Es tröstet über den Kartenbetrug hinweg. Die Rückfahrt zum Bahnhof unternehme ich mit dem Bus, als müsste ich sofort mit Sparen beginnen. Auf der Tour geht mir ein Licht auf. Endlich verstehe ich, warum Baden-Baden seit 1931 nicht mehr bloß Baden heißt. Nicht aus Angst, mit Baden bei Wien oder Baden in der Schweiz verwechselt zu werden. Nicht mit der Absicht, damit auf die Bäder aufmerksam zu machen. Auch nicht in der Meinung, der Stadt mit der Verdoppelung zu mehr Renommee zu verhelfen. Baden-Baden ist genau so zweigeteilt, wie es die Stadtbezeichnung vorgibt. Einerseits existiert ein Territorium der einheimischen Bevölkerung. Das liegt irgendwo zwischen Bahnhof und Verfassungsplatz. Andererseits gehen Bilder der Innenstadt mit guten Hotels und prominenter Kundschaft um die Welt. Neu- und Altstädter baden getrennt. Dennoch bleiben sie verbunden, durch einen winzigen Bindestrich, der in Wirklichkeit etwa sieben Kilometer misst.
Ich warte im Coffee Fellows , dem stilvollendetsten Bahnhofcafé Süddeutschlands, auf den ICE nach Basel. Braune Ledersessel umgeben kantige Salontische aus dunklem Edelholz. In geflochtenen Übertöpfen wuchern Palmen und Papyrushalme. Von der Rückwand prangt das brauntonige Fresko eines jugendlichen Fellow über dem weißen
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