Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
fragte Dolde unvermittelt, ohne jede Einleitung.
»In Bissingen.«
»Du hast eine stabile Unterlage zum Sitzen?«
»Wieso?«
»Weil du dich jetzt gut festhalten solltest.«
»Warum? Was ist los?«
»Meisner. Wir haben ihn.«
Braig spürte den kurzen Anfall eines Schwindels, griff mit seiner Linken nach der angelehnten Tür in seiner Nähe, klammerte sich daran fest. »Wie bitte?« Er hatte Mühe, die Worte zu formulieren, schnappte nach Luft. »Du willst sagen …«
»Meisner. Genau.«
»Moment.« Er atmete tief durch, fiel wieder auf seinem Stuhl zurück. Er sah Zellers verwunderten Blick, signalisierte ihm eine kurze Unterbrechung ihres Gesprächs, konzentrierte sich wieder auf Dolde.
»Ihr habt ihn festgenommen, verstehe ich das richtig?«
Dolde zögerte, verhaspelte sich mit seiner Antwort. »Mhm, festgenommen, nein, das ist nicht das richtige Wort.«
»Menschenskind, was denn dann?«, rief Braig voller Ungeduld. Er bemerkte Zellers große Augen, versuchte, sich zu mäßigen. »Jetzt erkläre mir doch endlich, was los ist. Meisner ist in eurer Gewalt, richtig?«
»Richtig.«
Braig stieß die Luft aus, fühlte sich erleichtert. »Na, endlich. Wie habt ihr ihn erwischt?«
»Rössle«, antwortete Dolde, »du hast alles ihm zu verdanken. Es war seine Idee.«
»Dass ihr ihn entdeckt habt?«
»Ja, nur weil Rössle so hartnäckig war. Sonst wären wir ohne Meisner nach Hause gefahren.«
»Und? Was ist passiert?« Er fühlte sich provoziert, erneut loszubrüllen, musste sich mit Gewalt zurückhalten.
»Der Herr Kollege verlangte nach frischer Luft. Nach stundenlangem, weitgehend erfolglosem Auf-dem-Boden-Herumkriechen in der Hütte eine Ladung frischer Albluft. Gesagt, getan. Er marschiert los, umrundet die Hütte, pirscht quer durch den Wald, seine Taschenlampe in der Hand. Immer mit dem Hintergedanken, Spuren von Meisner zu entdecken, wie er mir erklärte. Irgendwann, ich hatte mir schon Sorgen um ihn gemacht, immerhin war es bereits leicht dämmrig, kam er wieder angetrabt. Über und über voller Erde und Dreck. Ich habe ihn kaum noch erkannt.«
»Er hat ihn im Wald erwischt und überwältigt?«
»Nicht ganz. Er hat ihn entdeckt, ja. Aber das Überwältigen konnte er sich ersparen.«
»Wieso? Der hat sich freiwillig ergeben?« Der Kerl ist am Ende seiner Nerven, überlegte er, schließlich sind wir seit fast einer Woche hinter ihm her. Kein Wunder, dass er sich freiwillig ergibt, jetzt, wo wir sogar seinen Unterschlupf auseinander genommen haben. Das muss ihm den letzten Rest gegeben haben.
»Er hat sich freiwillig ergeben«, bestätigte Dolde. »Allerdings mit einem sauberen Loch im Kopf.«
»Wie bitte? Rössle hat ihn erschossen?«
»Rössle? Nein, so gewalttätig ist der Kollege nicht.«
»Dann war es Selbstmord. Meisner hat eingesehen, dass er keine Chancen hat, uns zu entkommen.«
»Selbstmord?« Dolde ließ ein schrilles Lachen hören, als sei er dabei, den Verstand zu verlieren. »Wenn er nach seinem Tod noch kurz aufstand und die Waffe aus der Höhle schaffte, dann ja. Aber das scheint mir nicht besonders wahrscheinlich. Außerdem ist das schon eine ganze Weile passiert. So wie der aussieht, ist das mehrere Tage her. Fünf, sechs mindestens, vielleicht noch länger. Komm her, schau ihn dir an. Die Höhle, in der wir, Verzeihung, Rössle, – ich habe es ja ausführlich erklärt, – ihn gefunden hat, liegt ungefähr fünfhundert Meter von der Hütte entfernt. Wir haben den Generator hierher verlagert und die Höhle ins rechte Licht gesetzt. Extra für dich!«
Das Zittern, das Braig in den Kniekehlen erfasste, stieg langsam hoch, nahm von seinem ganzen Körper Besitz.
Dennis Zeller starrte auf seinen Besucher, sah, wie der erbleichte, sein Handy in die Tasche steckte und dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aus seinem Zimmer verschwand. Seltsamer Typ, dieser Kommissar, überlegte der Student.
30. Kapitel
Bruder, mei Bruder, letscht Nacht do han i träumt,
a Wese kam zu mir, s’ hat ’s gut mit mir gmoint …
Braig wusste nicht, warum ihm gerade jetzt der Text und die melancholische Melodie des Liedes ununterbrochen im Kopf umherschwirrten. Er hörte Biggi Binders einfühlsame Stimme, hatte Gega dr Wend im Ohr, worüber auch immer er in diesen Stunden nachzudenken versuchte. Wendrsonn – er sehnte sich nach einem Auftritt der Band, beneidete jeden, dem es gelang, wenigstens für ein paar Minuten aus der Realität abzutauchen.
Den gesamten Freitag hatte er gebraucht, den
Weitere Kostenlose Bücher