Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
Begabungen, die engagierten Naturwissenschaftlern oft grandiose musikalische Kunstfertigkeiten erlaubten.
»Orgelspiel ist meine Methode, unseren oft doch sehr belastenden Alltag zu vergessen«, erklärte Dolde. »Wenn ich mich auf mein Instrument konzentriere, versinke ich in einer anderen Welt. Oder glaubt ihr, ich könnte den Anblick des Engels unter der Comburg oder den unter der Burg Teck gerade so wegstecken?«
Betretenes Schweigen, verlegenes Räuspern.
»Wisst ihr, wie oft ich seit der Comburg nachts aus dem Traum geschreckt bin, das Mädchen vor meinen Augen?«
Er musste es nicht erklären, fand in der Runde Zustimmung und Verständnis. Thomas Weiss war es zu verdanken, dass das Gespräch in erträglichere Bahnen schwenkte.
»Reden wir lieber über die Engel, mit denen ich mich seit Wochen befasse. Heute Mittag habe ich die Datei abgeschlossen, der Artikel steht.« Er berichtete von den weithin unbekannten Heldentaten engagierter Christen in der dunkelsten Epoche des Landes, die er anlässlich der Langen Nacht am letzten Wochenende zum ersten Mal vorgetragen hatte.
Als sie zehn Minuten vor Zehn abends wieder in die S-Bahn stiegen, lag Winnenden bereits friedlich in tiefer Dunkelheit.
32. Kapitel
Der kleine Parkplatz am Rand des Firmengeländes lag verwaist im Dunkel der an diesem Montag vor etwas mehr als einer Stunde angebrochenen Nacht. Ein einziges Auto, eine große Limousine, reflektierte das Licht einer einsamen Straßenlampe.
Kristin Röhrig schlenderte auf dem dunklen, mit weißen Trennstreifen markierten Asphalt hin und her, die Haut unter dem dünnen Sweatshirt von leichtem Frösteln überzogen. Die Temperatur war mit dem Einbruch der Dunkelheit auch hier, mitten in diesem Stuttgarter Gewerbegebiet, deutlich gesunken, hatte die immer noch frühsommerlich warme Mittagsluft verdrängt. Ein stabiles Januar-Hoch, das sich nur sehr, sehr langsam nach Osten bewegt, bestimmt weiterhin unsere Region, wie die Wetterfrösche seit Tagen erklärten. Ein Pulk den Berg hinauf lärmender Fahrzeuge schob sich an dem Parkplatz vorbei, hinterließ eine Wolke von stinkenden Abgasen und trockenem Staub.
Kristin Röhrig starrte auf die Pforte, die zu der Firma führte, sah, wie das Licht im obersten Stockwerk des Gebäudes erlosch. Langsam könnte er kommen, überlegte sie, sonst hole ich mir noch eine kräftige Erkältung. Das ist der Kerl garantiert nicht wert. Sie hörte das Quietschen einer Tür, vernahm die kräftigen Schritte eines Menschen. Keine Minute später trat er auf den Parkplatz.
Sie postierte sich in unmittelbarer Nähe des Autos, sah, wie er die Tür hinter sich ins Schloss zog, dann auf seinen Wagen zulief. Er schien in Gedanken, entdeckte sie erst, als er das Fahrzeug fast schon erreicht hatte.
»Wer sind Sie?« Der Mann blieb stehen, starrte zu ihr her, ließ seinen Blick dann über das ganze Gelände schweifen. »Was wollen Sie?«
Sie versuchte, ihre Nervosität und die Abscheu vor ihm zu unterdrücken, so gut es ging, stemmte die Arme in die Hüften. »Du kennst mich nicht mehr?« Die Worte kamen ihr nur schwer aus dem Mund.
Er verharrte noch immer an derselben Stelle, schien von Misstrauen erfüllt.
»Ach, Manuel, jetzt stell dich nicht so an!« Sie legte allen Liebreiz, der ihr trotz der unangenehmen Situation zugänglich war, in ihre Stimme, lief um das Auto, direkt auf ihn zu.
Riederich hielt seine Aktentasche schützend vor seinen Leib, stand steif wie ein Brett auf dem Parkplatz. »Um was geht es?«, fragte er. Seine Stimme klang unnatürlich belegt.
»Um was wohl? Ich wollte dich mal wieder sehen.« Sie breitete ihre Arme aus, als wolle sie ihn umarmen, blieb einen halben Meter vor ihm stehen. »Tina, dein Angel Number Twenty-five.«
»Tina?« Er schien in seiner Erinnerung zu kramen, nach dem Orientierungspunkt zu suchen, anhand dessen er sie einordnen konnte.
»Die Fernsehaufzeichnung in Ludwigsburg letzten Mai. Wir waren zusammen im Hotel. Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr?«
Riederich machte einen Schritt zur Seite, wollte sich an ihr vorbeischieben.
»Du erinnerst dich wieder, siehst du«, sagte sie, »die Show, in der du dich so rührend um meine Karriere als Model gekümmert hast. So beschissen, wie du aussiehst, traust du dich tatsächlich hier unter die Leute? Das ist doch kein Arsch und kein Busen, was du da präsentierst, das ist doch nur labbriges, glibbriges Fett, pfui Teufel! Warum tust du den Zuschauern das an und versteckst dich nicht zu Hause in
Weitere Kostenlose Bücher